Die Verborgene Schrift
Steinflur gab er dem Hausknecht den Befehl, nach der Villa Schlotterbach zu telephonieren, Baron Meckelen möge den Herrn Geheimrat in der »Krone« abholen.
Die breite Wendeltreppe gemächlich hinaufspazierend, fand sich Hummel vor der geöffneten Tür zum großen Gastzimmer. Zu seinem Mißbehagen sah er eine gedeckte Tafel, Blumensträuße, Weinflaschen und Leute, die Französisch sprachen. Die zierliche kleine Mamsell, die bediente, kam mit wippenden Röcken und klappernden Absätzen auf ihn zu: Monsieur seivielleicht ungestörter nebenan im Erkerzimmer? Sie schloß das spitze Holztürchen auf, öffnete ein Fenster, weil es drinnen ein wenig muffig roch, deckte schnell mit leichten, hübschen Bewegungen ein Tischchen und stellte es vor den Gast hin, der im Erker Platz genommen hatte. Er entsann sich, daß damals hier die schöne »Kronen«-Wirtin mit einer Handarbeit gesessen hatte, als er mit Bourdon vorüberging. Auf der »altdeutsch« verzierten Weinkarte aber, die man ihm reichte, stand ein neuer Name, und der Erker hatte funkelnagelneue Butzenscheiben erhalten. Der Geheimrat bestellte sich Tee, und während das Mädchen die Tasse aufstellte und das künstliche Sträußchen vom Schanktischchen herübersetzte, erzählte sie wichtig, es sei ein Brautpaar drinnen, papa, maman und die beiden andern Herren en qualité de témoins . Der eine Monsieur Treumann, der Postvorsteher, der andere der Pharmacien Charles Amstoutz. »Grad eben haben sie uff'm Rathaus den contrat gemacht, dreiundneunzigtausend Francs Aussteuer, monsieur !« Ihr stumpfnasiges Gesicht wurde ehrfürchtig und fromm. »Dreiundneunzigtausend Francs, c'est chic !« Sie seufzte.
Er erfuhr dann noch, die Braut sei die Tochter eines reichen Holzhändlers aus der Gebweiler Gegend. Der Bräutigam war der Doktor, der der Post gegenüber wohnte. »Ein Prussien,« fügte sie hinzu, und es lag ein gewisses Mitleid in ihren Worten.
»Sie möchten also nicht mit der Braut tauschen, Fräulein?«
»O, quant à ça, welsch oder deutsch, sell wär mir au fond egal.«
»Margritle, Margritle,« rief man aus dem Nebenzimmer. Sie flog wie von ihrem weißen Schürzchen gesegelt hinaus. Hummel zog jetzt sein Manuskript aus der Tasche. Im Erker war es noch hell, sogar ein Sonnenstrahl fiel schräg und gelb auf seine Blätter. Und schnell war Thurweiler und Elsaß vor dem Gelehrten versunken. Er las und korrigierte, dachte nach und träumte. Jedes völkische Sonderinteresse hatte seinen Sinn für ihn verloren. Nur an die Menschheit, die leidet, dachte er in diesen Augenblicken und an die Wissenschaft, die ihr zu helfen bereit ist. Er gründete in Gedanken wundervoll eingerichtete Institute für Forschung und Heilungen, leiteteStröme von Gold hindurch, von allen Seiten auf ihn zufließend. Wenn man doch einen Hebel wüßte, eine Gewalt, einen Befehl, dem alle gehorchten, so daß man die Menschen zwänge, Geld und Kräfte herzugeben für solche Zwecke. Nur ein paar einzige Monate lang! Er dachte sich ein großes Aufgebot. Jeder ließ seine eigene Arbeit und ging an die Stelle, an die man ihn zum Wohl der Allgemeinheit hinberief. Eine Abgabe vom Vermögen plante er, eine Beschränkung des persönlichen Genießens und Bereicherns aller irgend Vermöglichen. Und das alles dann zusammengerafft, um, wissenschaftliche Untersuchungen und Experimente zu fördern, Mittel herzustellen, die, so teuer sie seien, der großen Masse der Kranken ohne Unterschied zugänglich gemacht werden könnten. Erst sollte einmal der körperliche Mensch auf einen gesunden Zustand gebracht werden, weitere körperlich Gesunde erschaffen und so den Grund zu gesunden, graden Gedanken legen, zu einem Leben frei von der Qual unnatürlicher Bedürfnisse und Nöte.
Wer aber hatte den Zauberstab, der die Geldbeutel öffnen und über Parteihader, Bequemlichkeit und Lauheit herüber eine Einheit der Willigen schaffen konnte, ein Instrument der Macht? Seine Stirne, blaß und leuchtend unter solchen Gedanken, machte sein Gesicht schön.
Die Türe wurde ehrfurchtslos aufgestoßen. Laut sprechend und lachend kamen ein paar Herren herein. »Donnerwetter, das Nest hat ja ein ganz anständiges Gasthaus. Na denn mal her mit dem Schlampanjer. Hier muß es doch massenhaft geschmuggelten französischen Champagner geben? Was?«
Es waren die städtischen Herren vom Fabrikhof vorhin. Berliner, der Sprache nach. Ein dünner Vornehmer, der vor Langeweile zu sterben schien und empört war, daß es hier so kalt sei. Er
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