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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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in Straßburg haben. Eh bien, da haben sie eben wieder mal die Marseillaise gesungen, und das erlaubt das gouvernement natürlich nicht. O, und hier in Thurweiler hat's auch noch Leute, so von den älteren, wenn die den Wein im Kopf spüren, dann werden die Fensterläden zugemacht, und dann geht's los mit der Marseillaise. Sehen Sie, der Vater von der Hochzeiterin dadrin, der ist auch noch so einer. Aber wenn der Herr Treumann dabei ist, so hat's keine Gefahr. Er sagt ihnen seine Späße, und dabei vergessen sie die Marseillaise.«
    Hummel rief das Mädchen heran, um zu zahlen. Der Aufenthalt hier wurde ihm unerträglich. Er hatte sich bereits erhoben, als dicht neben dem Erker sich eine Tapetentüre öffnete, die er bisher nicht bemerkt hatte, und die nach der Privatwohnung des Wirts führen mochte. Die Wirtin selber, eine junge, blasse Frau mit geziertem, zusammengezogenem Munde, erschien, um zu sagen, der Herr Maire wünsche Monsieur zu sprechen. Unwillkürlich erwartete Hummel, Balde eintreten zu sehen. Er erhob sich. Vor ihm stand der hochgewachsene kräftige Mann, der vorhin aus dem Fabrikgebäude dem Rutengänger entgegengetreten war, Pierre Füeßli. Da er jetzt den Hut abnahm, war sein Haar leicht gewellt, noch voll und von einem bläulichen Grau, gegen das sein bläßlich braunes Gesicht südländisch hervorstach. Dabei hatte aber der ganze Typus etwas Alemannisch-Treuherziges.
    Er nannte seinen Namen: »Füeßli.«
    Hummel forschte betroffen in das zwar sympathische, ihm aber ganz fremde Gesicht hinein.
    »Madame Füeßli schickt mich zu Ihnen, Herr Geheimrat,« sagte der Ankömmling, und seine Stimme klang befangen. »Wir haben Ihren Namen auf dem Rezept gelesen, das Sie die Menschenfreundlichkeit hatten unserm Söhnchen zu verschreiben.«
    Hummel verbeugte sich. Er zeigte mechanisch auf den Sessel neben seinem eigenen. Eine Pause entstand.»Wie geht es dem Kinde?« fragte Hummel endlich gemessen, »hat es noch Schmerzen?«
    »Er findet sich jetzt besser. Madame Füeßli ist zur Hälfte Arzt, sie hat die leichte Hand ihres Vaters. Sie erinnern sich an Monsieur Balde?«
    »Vollkommen. Ich habe den alten Herrn sehr verehrt.«
    »Er verdiente es von Ihnen verehrt zu werden, Monsieur, ein seltener Mann. Ich wollte, das Elsaß hätte mehr von seiner Art.«
    Nun war man wieder fertig. Der Geheimrat wartete. Es machte ihm jetzt eine kleine Freude zu sehen, daß der andere sich mühte.
    »Madame Füeßli hat mir aufgetragen,« fing der Maire wieder an, »ihr Gelegenheit zu geben, Monsieur persönlich ihren Dank aussprechen zu dürfen. Sie würde sehr glücklich sein, wenn Monsieur mich zu ihr begleiten wollte.«
    Hummel sah nach der Uhr. »Sehr liebenswürdig, aber ich erwarte – – Baron von Meckelen wollte hier in der ›Krone‹ mit mir zusammentreffen.«
    »O, wenn es nur das ist! Der Baron ist häufig unser Gast. Er wird nichts dagegen haben, sein Rendezvous mit Ihnen in unser Haus zu verlegen. Aber Monsieur muß entscheiden. Ich will nicht hartnäckig erscheinen.«
    Hummel schwankte. »Ich müßte dann zu Herrn Schlotterbach telephonieren. Der Baron wollte mich anfänglich dort – – Ich würde mich natürlich freuen, bei dieser Gelegenheit allerlei alte Erinnerungen – –« Er wußte durchaus nicht weiter.
    Da sah ihn der bärtige, große Mann da vor ihm mitten aus seinem tadellos korrekten Benehmen heraus treuherzig an. »Grad das mein' ich. Man kann doch nicht so beieinander vorbeilaufen! Gelt?«
    Hummel stieß mit seinen Fingern unruhig in seinem Bart umher. »Gehen wir also, wenn Sie meinen.«
    Weiter wurde lange kein Wort gewechselt. Man nahm jetzt nicht den Weg durch den großen Saal, sondern ging durch die Privatwohnung des Wirts, ein behagliches, bürgerliches Zimmer,in dem ein Kanarienvogel schmetterte, die Nebentreppe herunter und durch Hof und Garten wieder nach vorn auf die Straße«
    »Sie sind Maire hier wie Ihr Schwiegervater es damals war, Herr Füeßli?« fragte der Geheimrat endlich.
    »Ja, seit etwa zehn Jahren. Vor mir hatte übrigens Ihr Verwandter das Amt, Monsieur Camille Bourdon.«
    »Ah, wirklich? Ich dachte nicht, daß er dazu passen würde.«
    »O, er hat uns durch die Zeiten des Regimewechsels gut hindurchgebracht, gerade er. Es war ganz gut, in solcher Zeit einen Mann an der Spitze zu haben, der sich in den beiden Sprachen gleichmäßig freundlich auszudrücken suchte.«
    »Also zweizüngig!« Sein ganzes ungebrochenes Temperament grollte in diesen Worten.
    Pierre

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