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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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unterzeichnete es, riß das Blatt aus und gab es dem Burschen mit, zugleich den ungefähren Geldbetrag. Darauf entfernte er sich rasch. Er liebte Ansammlungen nicht. Und hatte nun genug von seinem Samaritertum.
    Recht eigentlich in Flucht jagte ihn eine Bemerkung, die er erwischte. Man müsse es dem Babbe sagen, hatte einer der Arbeiter gemeint, und die Alte darauf erwidert: Monsieur Füeßli sei nicht mehr in der Fabrik, er sei mit den Herren aus Berlin nach dem Spitalwäldchen gegangen.
    Monsieur Füeßli! Unwillkürlich eilig ging er seinen Weg zurück, als habe er ein Ziel, das nach ihm verlange. In Wahrheit wußte er nicht, wohin. Er war es nicht mehr gewöhnt, Zeit zu haben. Seit Jahren hatte er sich seinen Tag streng eingeteilt, um ihm möglichst viele Leistungen zu entlocken. Im Hause hielt seine Nichte jede Störung seiner Gewohnheiten fern. Ihre Kinder sah er kaum, vielleicht wußte er nicht einmal, wie alt sie seien. Sogar das Verhältnis zu seinenZuhörern und Schülern hatte etwas Programmäßiges, Unpersönliches bekommen. Wirklich nahe stand ihm keiner.
    Am fernsten aber stand er doch sich selber. Er beschäftigte sich niemals mit sich selbst und dachte nicht viel über sein eigenes Leben nach. So war es ihm auch, als er nach Straßburg kam, nicht eingefallen, den Bindestrich zu machen zwischen dem Elsaß, das er zufällig nun bewohnte, und jenem Elsaß, das einmal das Erlebnis seiner Jugend gewesen war.
    Diese Reise tat das jetzt für ihn.
    Und so wußte er plötzlich, während er aufs Geratewohl, die Straße kreuzend, in den Wallweg einbog, daß Meckelen ihm von einem kleinen Nachgeborenen gesprochen hatte, das bei den Füeßlis noch im Jahre der Silbernen Hochzeit erschienen sei. Diesem »Silberkinde« also war er jetzt begegnet.
    Er öffnete seinen Rock ein wenig. Zerstreut lächelte er in die staubige Wärme hinein, blickte an der Zuchthausmauer in die Höhe und sah, daß Zerff recht hatte. Statt der naiven Soldätlein, deren rote Hosen malerisch und fast lustig gewirkt hatten, gab es jetzt da oben blitzende und grausame Drahte.
    Natürlich praktischer! Man sparte an Personal! Aber wieder war es ihm, als sei ihm etwas weggestohlen worden.
    Die Pappeln am Kanal waren gestutzt. Man sah über ihre rauhen Reiser herüber die kahle, frisch erhöhte Mauer. Das Wasser des Grabens war schwarz und gering, die Tür der Leichenkapelle stand offen. Am Wall dagegen war alles freundlich. Hübsche gärtnerische Anlagen, ein runder Aussichtsplatz mit Banken, zu dem sich die Armengarten gepflegt und gerade hinaufzogen. Ein paar der uralten »Remparthäuser« aber standen noch. Schief und zerfallen mit blinden Fenstern, von Balken und Eisenstützen gehalten, schienen sie kaum mehr bewohnt. Ganz wenige Türen hingen noch in den Angeln. Hummel trat näher: »Madame Groff, Schampre à louwée «, stand am Schildchen des Holzzauns. Ein abgerissener rostiger Klingeldraht hing in die Luft.
    Er kam nun in den »Süßen Winkel«. Alles geordneter und sauberer als früher. Die Misthaufen fest geformt mitAbflußkanälchen neben sich. Durch die runden Hoftore sah man geschäftige Leute. Ein blindes Pferd drehte irgendeine Mahlmaschine im Kreise. Hatte früher hier nicht einmal ein weißer Pfau gesessen?
    In diesem Augenblicke schoß ein halbgeschorenes Hammelchen in wilder Flucht an ihm vorbei, von einem Mann gefolgt, der fluchte. Er sah Hummel und zog sogleich ein mürrisches Gesicht. »Excusez.« Beim Vorbeirennen schubste er ihn ein wenig in die Gosse. »Drecksäckl, Luder,« schimpfte er dabei. Man konnte das auf Tier oder Mensch beziehen. Hummel wunderte sich über sich selbst, daß er friedfertig blieb. Früher wäre das wohl anders gewesen. Ein Bild erhob sich vor ihm: Sturm und Regen. Ein langer junger Mensch im Nachthemd. Einen flatternden weißen Schal um den Kopf, der einer Rotte Betrunkener kriegerisch nachjagte.
    »Ja, ja, man wird alt!« Aber er empfand das jetzt als Behaglichkeit.
    Wieder in der Hauptstraße, ging er nun schon ganz gewohnheitsmäßig an den Häusern vorüber, die er heute so oft gesehen hatte. Förmlich heimatlich kam ihm das vor: die weißen Oleander, die Pinscher, die Madames. Vor dem Renaissanceerker der »Krone« blieb er stehen. Er beschloß hineinzugehen und den Baron dort zu erwarten. Er faßte nach seiner Brusttasche. Für alle Fälle hatte er die Korrektur seiner neuen Arbeit über die Erreger des Flecktyphus mitgebracht. Nun fühlte er sich geborgen.
    Beim Eintreten in den hallenden

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