Die Verborgene Schrift
mit altgoldener Seide verhangene Licht der Deckenlampen wohltuend,er wünschte keine Veränderung seiner Lage für eine Weile. So dämpfte er denn bedachtsam seine eigene Stoßkraft, wollte weder forschen noch bekehren. Er begann von der Fabrik zu sprechen und von den Vergrößerungen, die er bemerkt hatte.
Es stellte sich heraus, daß Victor Hugo eigentlich nur dem Namen nach und mit einer Anzahl Aktien noch bei dem Unternehmen beteiligt war. Der wirkliche Träger der Geschäfte sei Monsieur Füeßli, der Mann von Françoise Balde.
Er wisse darum, antwortete Hummel. Beide Männer sahen in die Flammen, in denen sich glühende Gebilde bogen, neigten und schwärzten.
Schlotterbach seufzte. »Ah ja, die Jugend, das ist weit. Mais monsieur n'a pas changé,« fügte er höflich hinzu. »Man würde Monsieur einen Vierziger schätzen.«
Hummel antwortete nicht. Er verstand überhaupt nur zu reden, nicht zu plaudern, und fühlte keine Verpflichtung zur Erwiderung von Phrasen.
Schlotterbach hatte inzwischen den Feuerhaken ergriffen und stocherte in den Scheiten. Die Zofe trat ein mit Wein und Gebäck. Sie strich mit deutlicher Vertraulichkeit um den Hausherrn herum und betrachtete den schweigenden Gast, der keine Fühlung zu ihr nahm, mit mokanter Miene.
Als sie gegangen war, erkundigte sich Hummel nach dem Rutenmanne, den er beobachtet hatte. Eine Möglichkeit solcher Feststellungen lasse sich wissenschaftlich nicht unbedingt leugnen, meinte er. Aber die Handhabung sei durchaus laienhaft und lasse alle Irrtümer zu.
Schlotterbach zuckte die Achseln. Alle solche mystischen Dinge seien ihm gleichgültig, er beschäftige sich jetzt nicht mit ihnen, habe die Zeit nicht dazu, überhaupt sei er zu der Einsicht gekommen, daß man am besten sich nur um das Nächste und Notwendigste kümmern solle. »Mit Enthusiasmus und schönen Idealen, wie man sie in der Jugend liebt, kommt man nicht weiter. Als Knabe freilich – man ist ein kleiner Unbesonnener, der nicht überlegt, der seinem Bedürfnis zu lieben und zu bewundern nachgibt.«
»Und später bereut man dann?« Hummel sah ihn mit klaren Augen an. Sollte das eine Absage sein an ihn?
»C'est loin,« wiederholte Schlotterbach nachdenklich. Er starrte auf den weichen roten Widerschein des Burgunderglases, der über dem Marmortischchen zitterte.
»Sie dichten nicht mehr?« fragte Hummel nach einer Pause.
Schlotterbach sah auf, noch die zarte Spur eines Traumes in den Augen. »Dichten, o dafür bleibt keine Zeit, kein Kopf, es paßt nicht für einen Geschäftsmann.«
»Sie haben also jetzt Geschmack gefunden an der praktischen Arbeit?«
Schlotterbach zuckte wieder mit den Schultern. »Was wollen Sie? Ich habe meiner Tochter eine gute Mitgift zu schaffen, das genügt mir. O man verliert nicht seinen Tag, können Sie mir glauben, selbst wenn man auf der Erde bleibt mit seinen Gedanken. Und dafür sorgen schon die täglichen embêtements . Man hat viel Ärger mit der Bevölkerung. Allein nur die Mühe mit den expropriations , die nötig sind, um die wichtigsten Ausgrabungen zu machen. Niemand will etwas von seinem Besitz hergeben. Umsonst, daß ich selbst das Beispiel gab dazu. Die Proprietärs hangen an ihren miserablen Hütten, die über ihnen zusammenfallen. Und die Gesellschaft zahlt gut. Sie könnten ziehen, wohin sie wollen, niemand hält sie,«
»Die Leute lieben eben ihre Erinnerungen.«
»Ach, unsere. Erinnerungen, Monsieur, sie stecken nicht in unsern Häusern und Möbeln, hélas, ils se trouvent dans nos coeurs .« Er schlug sich auf die Brust.
Hummel sah ihn scharf an. »Sie haben keinen Sohn, Herr Schlotterbach?«
»Nein, glücklicherweise. Sie verstehen« –er streifte langsam die Asche seiner Zigarre in die Kupferschale, seine Finger zitterten – »Sie werden verstehen, Monsieur, ein Sohn bedeutet für uns Elsässer immer: den Konflikt.«
»Ein Konflikt, dessen Lösung klar gegeben ist, Herr Schlotterbach.«
»Pour vous, monsieur, pas pour nous.«
Hummel sprang auf. »Mir scheint wirklich. Sie waren ein besserer Deutscher, als Sie noch Franzose waren.«
Dem Elsässer schoß das Blut in die Wangen. Er meinte den Ton wiederzuerkennen, den er am meisten haßte, den Ton des anmaßenden Siegers dem Besiegten gegenüber, dem er Gesetz, auch für sein intimstes Leben, diktieren zu dürfen glaubt. »Man hat nicht aufgehört Frankreich zu lieben, Herr Geheimrat,« erwiderte er fast zischend, »weil sich eines Tages, vor mehr als dreißig Jahren, eine Anzahl
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