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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Prussiens d' clairons entgegengeblose, d'r casque isch ihne fascht vom Kopf nunter gefalle. Akkrat so –« Er wandte sich an seinen Sohn, der, die Hände in den Armlöchern seiner Weste, teilnahmlos danebenstand. »Akkrat so müesch's au mache, Jules, 's Ding isch's glieche. Ob mer fir de Napoleon oder fir Guillaume ins Feld zieht.« Aber der Sohn zuckte mißmutig die Schultern, » Fiche-moi la paix mit dinem Napoleon un Guillaume. Sel Dings do mit d'r politique , die macht m'r net heiß un net kalt. I will nix wisse drüwer und nir schwätze drüwer.« Damit ging er davon. Die Alten sahen ihm enttäuscht nach.
    Martin strich nachdenklich an den alten Buden der Gewerbslauben hin, aus denen es nach Leinöl, Arnika und allerhand altmodischen Parfüms roch. Zuckermänner mit Sprüchen auf dem Magen lagen in den kleinen Schaufenstern. Dazu die Arche Noah mit Madame Sem in giftgrünem Kleide. Martin mußte sich die Menschen vorstellen, die früher da in diesen alten Häusern gewohnt hatten. Er sah sie breit und sicher vor ihren Türen sitzen, von ihren handgefertigten Werken umgeben, ihr Morgen- und ihr Abendlied singend, mit den Nachbarn die Tagesereignisse austauschend. Alles gemächlich, zuversichtlich und im ruhigen Wechselkreis der Tradition. Und dann sah er sich die Männer an, die da vorübergingen, dachte an sich selbst, an Blancs, an Helmut, und er fühlte sie alle unstet und sprunghaft, sehnsüchtig und kritisch, ewig hastend, einem Zweck, einem Erfolge nachjagend.
    So kam er wieder auf den Gutenbergplatz. Er bemerkte dort eine kleine Ansammlung. Erregt schritt er darauf zu. »Gibt's do nouvelles ?« Man wies auf einen Bierwagen mit beschädigtem Faß, den ein paar kräftige Männer angehalten hatten, sich vor die Räder stellten, das vorquellende Bier in ihren Mützen auffingen und tranken. Ein Schutzmann kam quer über den Platz und notierte sich den Vorgang.
    Martin kehrte um, blieb aber dann wieder stehen, weil ihm zwischen dem Unterelsässisch der Johlenden ein paar Worteseines Heimatsdialektes auffielen. Auch die Stimme, die sprach, schien ihm bekannt. Er trat näher und sah einen Bekannten aus Thurweiler, den Advokaten Rufère. Er bewohnte seit einiger Zeit den einen Flügel des Baldehauses zur Miete. Martin wußte, daß Vater Pierre ihm zum nächsten Quartal gekündigt hatte, weil der Mann ihm politisch verdächtig war und er keine Unannehmlichkeiten durch ihn haben wollte. »Losse's numme laufe, 's Bier,« sagte der Rechtsanwalt zu seinen Nachbarn. »In e paar Tägle trinke mir do in Stroßburg wieder unser gueter franzeescher Win mitnander – billig, ihr Litt, sans frais de douane .«
    Alle lachten. Jetzt hatte der Rechtsanwalt Martin entdeckt. »Pas vrai?« sagte er verschmitzt und grüßte ihn. Martin antwortete nicht. Der Mann war ihm unangenehm. Er strich sich seinen Rock glatter. Dabei knisterte etwas in seiner Brusttasche, Hannas Manuskript. Steif ging er an dem Rechtsanwalt vorbei.
    Ein paar Schritte weiter begegnete er Monsieur Henri, einem seiner Kameraden im Cercle Alsacien, der in Hummels Präpariersaal arbeitete, und dem man auch die Rede übertragen hatte zu des Geheimrats Geburtstag.
    »Bon jour, bon jour, ça va bien?« Sie gingen ein Stück miteinander, sprachen von den Kommilitonen, die bereits in die Ferien gereist waren, und dann beklagte sich Monsieur Henri darüber, daß man am Theater seiner kleinen Freundin, einer Soubrette, in der letzten Operette wieder keine Rolle zugewiesen habe. Minette sei eben Halbfranzösin, viel zu anmutig und nuanciert für den Geschmack des hiesigen Publikums, das im Ballett eine Weltanschauung getanzt verlange und in der Operette Bombenstimmen. Der junge hübsche Mann legte seinen Arm in Martins und zog ihn freundschaftlich mit sich. Martin ließ es sich gefallen. Henri war ihm der liebste aus dem Cercle, ein lebhafter Mensch, der freilich ein wenig Räsonneur war, aber wirklich fast so weit über dem Durchschnitt, wie er sich dünkte. Viel Staub hatte er kürzlich aufgewirbelt mit seiner Weigerung, bei einem Offiziersessenzu Kaisers Geburtstag in Uniform zu erscheinen. Ein deutscher Kollege machte ihm die Bemerkung: er müsse es doch als eine Ehre betrachten, einmal im Jahre wenigstens in des Kaisers Rock zu stecken, worauf er erwiderte: was ihn beträfe, so fühle er sich jeden Tag im Jahre Ehrenmann, nicht nur an Kaisers Geburtstag!
    Die Auseinandersetzungen, die nun kamen, hatten ein Duell zur Folge, das unblutig verlief, aber Monsieur Henri im

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