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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Lager der Franzosenköpfe eine Gloriole gab.
    »Und Sie sind zu den Deutschen übergegangen?« sagte Henri jetzt scherzend zu Martin. »Sie werden im Hause unseres Professors Hummel Theater spielen?«
    »Es ist noch unbestimmt,« sagte Martin abwehrend. Er ärgerte sich über die Neckerei und sah neue voraus im Cercle. »übrigens habe ich vor, die Rolle zurückzuschicken,« sagte er. Und meinte das in diesem Augenblicke wirklich. »Ich bin dazu gekommen, ich weiß nicht wie.«
    »Der Alte ist ungeheuer beliebt bei uns allen,« sagte Henri begütigend. »Er ist zwar der gefürchtetste Examinator, aber im persönlichen Verkehr eingehend und gütig. Wenn er wirklich abginge, wie er vorhat, wäre es ein großer Verlust für seine Schüler.«
    »Fest steht und treu die Wacht am Rhein,« dröhnte es jetzt neben ihm. Wagerecht geschleuderte Beine, Stampfen, Aufstäuben, Knirschen der Eisennägel auf dem Pflaster. Henri lachte. »Ich sehe das zu gern. Jedesmal freue ich mich, daß ich nicht mehr dabei bin. Und eines rate ich Ihnen, Füeßli, dienen Sie niemals in Straßburg.«
    »Ist es hier strenger als in anderen Städten?«
    »Das vielleicht nicht, aber die Familie! Auch Sie haben ja Verwandte hier. Die nächsten Angehörigen grüßen einen nicht, wenn man ihnen in Uniform begegnet. Sie schämen sich. Ein Rendezvous im Café oder Restaurant mit ihnen ist gleichfalls unmöglich. Die französischen, die sie allein besuchen, sind uns verboten. Man lebt wie in der Verbannung. Ich wenigstens bin jetzt frei.«
    Die Art, in der er es sagte, hatte wenig von Fröhlichkeit, aber sehr viel von Selbstverspottung.
    Er erwähnte dann noch, Maurice Blanc, Martins Vetter, werde ja zum Wintersemester Volontär sein in Hummels Laboratorium.
    Martin brach das Gespräch ab. »Ich kenne ihn gar nicht.« Er liebte den streberhaften Vetter nicht. Die Aufforderung Henris, mit ihm im »Bäckehiesel« zu Mittag zu essen, schlug er ab. Er habe sich vorgenommen im Rhein zu baden und erst später zu essen. In Wahrheit kam ihm die Lust dazu erst jetzt; aber er schwang sich schnell auf eine elektrische Bahn und fuhr nach Haus, sein Rad zu holen. Henri hatte nichts über Kriegsbefürchtungen zu ihm geredet, aber jeder Augenblick konnte das bringen. Und da war eine uneingestandene Angst in Martin vor jedem Wort, das man hierüber von ihm verlangen könnte. Er fühlte alles in sich voll Gärung und Erwartung. Niemand aber sollte vorzeitig hineinschauen oder gar hineingreifen in dies geheimnisvolle Spiel chemischer Verbindungen und Zersetzungen, das in seiner Seele begonnen hatte. Er selber wendete in Angst und Ehrfurcht sein Bewußtsein davon weg. Und eben diese Flucht vor sich selbst machte ihn die letzten Stunden her so rastlos und so schutzsuchend.
    Zu Hause stand sein Rad im Hausflur, er griff rasch danach und hielt dem Geschwätz der Wirtin nicht stand, die voll Bewunderung seiner » tableaux drowe im Stüble« war, »wo so arg scheen sin«. –
    Das rasche Fahren im Sonnenbrande tat ihm wohl, vorbei an den alten Hafenanlagen und über den Kleinen Rhein hinüber. Die Eisenbahnschienen funkelten vor Hitze. Martin sah hinüber zum Grabmal des Generals Desaix, der hier vor etwa hundertzwanzig Jahren für Frankreich den Rhein gegen die Österreicher verteidigt hatte. Ein kalter, abergläubischer Schauer durchfröstelte den jungen Menschen inmitten der Glut, so als würde er bald selber an dieser gleichen Stelle den Rheinübelgang zu verteidigen haben und dabei fallen ... Für Frankreich? für Deutschland? ...« Ein wollüstiger Wunsch, seinLeben hinzugeben für etwas Forderndes, Großes, machte ihn aufschlürfen, als böte man ihm süßen, starken, berauschenden Wein. Seine Phantasie war erfüllt von Kriegsbildern, denen er keinen Rahmen zu geben vermochte. Eine große, pulsende Sehnsucht war da und quälte.
    Die Badeanstalt war leer um diese Stunde, Martin der einzige Benutzer. Leichtsinnig sprang er, fast ohne sich abzukühlen, ins Wasser, tauchte und schwamm, lag lange auf dem Rücken und ließ sich treiben, sprang dann wieder von hoch hinab, schlug ins Wasser wie ein Kind und jauchzte dabei. Er war ganz fröhlich geworden.
    Hannas Papier knisterte in seiner Tasche, als er, sich wieder ankleidete. Er aß drüben im Badischen in einer kleinen Wirtschaft, achtete nicht viel auf die übrigen Gäste, streute den Spatzen Brocken, sah, wie sie sich stritten, zeichnete mit einem Stöckchen Sonnen und Berge auf den Boden und fuhr dann, anstatt nach

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