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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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können Sie sich als Haare umtun.«
    Aber Hanna bewies ihr, daß man sie höchstens für Zigeuner oder Italiener benutzen könne oder für Hottentotten, die der afrikanischen Rasse angehörten; nicht aber bei der mongolischen, die zwar grobes und glänzend schwarzes, aber schlichtes Haar hätte.
    »Sie macht ihr Lehrerinnenexamen,« sagte Dora achselzuckend zu Martin und wölbte die rote Unterlippe, um zu zeigen, wieviel hübscher man sei, wenn man sich nicht mit Gelehrsamkeiten befasse.
    Martin schwankte einen Augenblick. Sollte er wirklich bei den Deutschen mitspielen?
    Sein Onkel Albert Blanc habe gleichfalls zugesagt, fügte Hanna hinzu, als könne sie in irgendeiner rätselhaften Klarsicht seine Zweifel lesen. Er würde die Einleitung und Zwischenmusik spielen.
    So fand er sich denn ein paar Minuten später mit den Geschwistern auf dem Wege nach der Goethe-Straße, um sich seine Rolle abzuholen; fast ehe sein Entschluß zu spielen feststand.
    Der Referendar fragte nachlässig, welcher Fakultät Martin angehöre? Im wievielten Semester er stehe? Und ob er in Straßburg bis zum Doktor zu bleiben gedenke? Als Martin sagte, er würde wohl ein paar Semester nach Paris gehen, meinte er, eine große Stadt sei freilich gut für jeden jungen Mann, aber er würde ihm doch Berlin raten, das wissenschaftlich wahrscheinlich höher stünde und entschieden moderner sei alsParis. Er selber möchte jetzt in keiner anderen Stadt mehr leben. Unmöglich in einer kleineren. Die Verschiedenheit der Menschen, mit denen man in Berührung komme, die weltstädtische Gleichgültigkeit, alles das sei die beste Schule für einen Mann. »Keine Verpflichtungen, keine Rücksichten. Man kann untertauchen und wieder auftauchen, verschwinden, ohne daß man vermißt wird.«
    »Ich möchte das nicht,« sagte Martin.
    »Nun ja, Sie sind Süddeutscher. Sie brauchen Gemütlichkeit.«
    »Freude,« sagte Martin, in den gleichen knappen Ton verfallend, den Helmut Hummel anschlug.
    »Freude? Glauben Sie etwa, daß wir nicht genießen wollen? Und wie! Arbeit zu ihrer Zeit, und Genuß zu seiner. Es geht alles. Man muß nur verstehen, es sich einzuteilen.«
    Martin hätte gern geäußert, daß Freude und Genuß nicht dasselbe sei, und eingeteilter Genuß erst recht nicht. Auch etwas vom Unterschied zwischen Arbeiten und Arbeit fiel ihm ein. Seine langsamere Art zu denken aber kam gegen den Berliner Referendar nicht auf, der fortfuhr: »Nein, wer auch nur ein wenig modern lebt, der hat die verschlampte altmodische Gemütlichkeit gründlich abgeschafft. Man kommt nicht durch damit. Ich denke mir, daß die ganze deutsche akademische Jugend heutzutage –«
    »Ich bin Elsässer,« sagte Martin und dann mildernd: »Ich selber habe über diese Fragen freilich noch nicht viel nachgedacht, nur von meinen Eltern her weiß ich, daß den Elsässern Ihr modernes Deutschland undeutscher vorkommt als das frühere, zu dem unsere gemeinsamen Vorfahren einmal gehört haben.«
    Frecher Fuchs! dachte Helmut amüsiert, und er sagte laut: »Ich weiß, man spielt hierzulande das deutsche Mittelalter gegen die Neuzeit aus. Ich finde das ziemlich kurzsichtig. Die Kräfte, durch die der Mensch Herr des modernen Lebens bleiben kann mit seiner ungeheuren Fülle von Eindrücken und Ansprüchen, sind eben nur: rasches, rücksichtsloses Zugreifen, kühles Rechnen und dabei Geschmeidigkeit. Lauter Eigenschaften, die nur in der Neuzeit und am besten in der Großstadt gedeihen.«»Am allerbesten aber in Preußen?« Martin sah ihn ein wenig schalkhaft von der Seite an.
    Helmut überhörte es. »Vorwärts muß der Mensch,« sagte er überzeugt, »darum leichtes Gepäck. Keine Vorurteile. Wenig Tradition. Ich zum Beispiel,« er sah mit scharfen Herrenaugen geradeaus, »ich habe mich entschlossen, zum Bankfach überzugehen. Als Regierungsbeamter ist das Avancement zu schlecht, und ich sehe nicht ein, warum man nicht versuchen soll, ein Vermögen zu erwerben?«
    Es war jetzt bei allem ostpreußisch Schneidigen etwas Helles, Springendes in seiner Art, das Martin gefiel. Aufmerksam betrachtete er dieses Exemplar einer neuen Mischung von Tatkraft und Genußsucht, die modern war und in moderner Form am Ende doch den starklebigen Menschen des Mittelalters wiederholte.
    Sie blieben jetzt vor einer Anschlagsäule stehen. Die Mädchen traten hinzu. Dora zeigte mit dem Sonnenschirm auf einen roten Zettel. »Ach, der Pawlowa-Abend ist abgesagt.«
    »Abgesagt?« Hanna sah zu ihrem Bruder auf. »Hältst du

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