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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Straßburg zurückzukehren, weiter ins Badische hinein. Stundenlang. Eine Weile folgte er der Bahnlinie. Aus einem vorbeisausenden Zuge klang Männergesang heraus, kräftig, froh. Junge Leute. Sie winkten zum Fenster heraus; von den Chausseen aus winkte man ihnen zurück und rief ihnen nach. Martin war abgestiegen und führte sein Rad die Anhöhe hinauf, »'s sin Urlauber, die mer heimg'rufe hat,« sagte eine alte Frau zu Martin, der neben ihr stehengeblieben war. »Sie sage ja im Dorf, 's gibt Krieg. Mei großer Bub müßt' auch mit. Un 's Korn noch nit ei'bracht un's Obscht noch auf de Bäum'. Un Heuer hat's doch so arg viel, grad zum Abbreche sinn die Zweich.« Sie zeigte es an ihrem Arm.
    »Ihr müßt halt alle hingehen zu euerm Kaiser,« sagte Martin. »Ihr müßt ihm sagen: Ihr wollt keinen Krieg!«
    Die Frau sah ihn groß an. Ihr einfaches Gesicht mit seinen vielen Arbeitsrunzeln umgab braun und hart die beiden stillen, blauen Augen. »Um nix macht mer kei Krieg bei uns,« sagte sie ruhig. »Daderfür sorgt schon der Großherzog. Un wenn's sei muß, darf mer sich nit losbitte vom liewe Herrgott. Un mit der Ernt' und mitem Obscht, das wird schon alles geregeltwerden vom Großherzog.« Aus Respekt vor ihrem Fürsten sprach sie die letzten Worte hochdeutsch.
    Martin hatte sich wieder auf das Rad gesetzt. Auf einer Waldchaussee in Duft und Schatten eilte er dahin, einem Bächlein entlang, und genoß im Eilen dennoch Ruhe. Die Leute, an denen er vorbeikam, hatten heute alle etwas Feierliches, Erregtes. Er beobachtete, daß sie, ob auch sich fremd, einander ansprachen wie Glieder einer einzigen Familie. Ich nur bin auf der Reise, fühlte er. Dann aber glitt er wieder ins Freie hinaus, sah dankbar Obstwiesen, Felder und Hügel, spähte nach der in Duft zerflossenen Gebirgskette und grüßte die Kirchtürme der Dörfer. Er hatte die Landschaft lieb. Keine andere je würde so heimatlich zu ihm sprechen wie die im Umkreise des Rheins und seiner Flüsse. Auch im Winter, mit den verschiedenen Farben des Schnees und der strengeren Struktur der kahlen Bäume, war sie ihm herrlich.
    Er fuhr nun langsamer, versuchte zu denken: Zum Winter hatte er in Paris sein wollen. Sein Bruder Paul hatte ihn erst, neulich wieder dringend eingeladen. Er wollte dort sein Studium fortsetzen. Und außerdem – Paris war doch eben: Sehnsucht, Vorbild, Quell der Anmut und der eleganten Lebensschönheit. Man mußte es erlebt haben, ehe man sich im Elsaß festsetzte.
    Und wenn jetzt Krieg würde? Krieg auch zwischen Frankreich und Deutschland?
    Er konnte sich keine Vorstellung davon machen, wußte nicht einmal, ob es ihm dann erlaubt sein würde, in Paris zu leben. Ihm, der ja die deutsche Staatsangehörigkeit in seinen Papieren bescheinigt hatte!
    Die Sonne stand schon schräg, als Martin in einem großen Dorfe ankam, ihm von Ausflügen her wohlbekannt. Er setzte sich ins alte Gasthaus »Zu den drei Linden«, ließ sich Wein, Brot und Käse geben und unterhielt sich mit der hübschen Wirtin, jung verheiratet, eine echte Schwarzwälderin, mit Augen, die wie dunkle Herzkirschen glänzten, und einem frischen schelmischen Mund. Sie scharmierte herzhaft mit demjungen Gaste, und es gab ein lustiges Gelächter hin und her, unter dem der Wirt herbeikam und ins Unbestimmte hinein mitlachte. Er war in Hemdsärmeln, hatte einen Militärrock über dem Arm und bat seine Frau, ihm hineinzuhelfen »zur Anprob'.« Sie schäkerten miteinander und rühmten die gute Küche der Frau, da die Uniform zu eng geworden war. Sie bastelte verliebt an ihm herum, mehr als die Anprobe verlangte. Er ließ es sich gern gefallen und sah dabei triumphierend auf den Gast, als wolle er sagen: »Bischt neidisch?«
    »Wenn ich so ein Weibchen hätte,« sagte Martin dann auch. »Ich ließe mich nicht wegnehmen von da.«
    Der junge Wirt zuckte gemächlich die Schultern. »Warum nit, 's isch halt e Abwechslung.« Sie lachte und drohte ihm mit der Faust. »Meinsch, ich tät' auf dich warte? Kei Red'. Ich nemm mer en andere, gell?« Sie blickte herausfordernd zu Martin hinüber. Aber ihr Mann ließ es sich nicht anfechten, »Ich hab' kei Angscht. Die Schwarzwalder Mädle bleiwe treu. Un jede Kugel trifft ja nit,« sagte er plötzlich ernst, scheinbar ohne Zusammenhang mit seiner vorigen launigen Art. Die Frau schlang unbekümmert um den Zuschauer beide Arme um ihn, dann verschämt, das Gesicht in der Schürze versteckend, lief sie davon. Der Wirt sah ihr nach. »Ich hab kei Angscht,«

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