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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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wiederholte er. Dann lachte er auf und setzte Martin in wohlgesetzter Rede auseinander, daß es mit dem Kriege sicherlich noch gute Weile habe. Aber Ordnung müsse sein. Und den Uniformrock wolle er morgen vom Schneider richten lassen.
    Martin lag lange im Wirtshausgärtchen auf dem Rasen, riß mit den Zähnen Taubnesselblüten aus, die da standen, und sog sie aus, legte sich dann auf die Seite und blinzelte in den Pflanzenzaun hinein, der ihm Haus und Landschaft verbarg. Er legte das Ohr fest auf die Erde, und das Klopfen seines Herzens tauschte ihm Pferdegetrappel vor, das herankäme. Zuletzt aber schlief er ein.
    Beim Aufwachen fühlte er sich nun doch etwas gliedermüde. So radelte er nur die kurze Strecke bis zur Bahnstation und stieg dann in den Zug, um nach Straßburg zurückzufahren.
    Das Abteil war sehr gefüllt. In der Mitte standen, sich an den Gepäcknetzen festhaltend, zwei Studenten und eine Studentin mit Rucksäcken. Das Mädchen hatte einen Blumenkranz im Haar. Berliner Geschäftsreisende unterhielten sich laut durch die Lücken hindurch, die die jungen Körper der Stehenden bildeten. Sie sprachen über den abgewendeten Krieg. Allwissend. Ihr Ton schalt im voraus auf etwaige Andersgläubige. »Der Kanzler hat nach Wien geschrieben, daß er sich nicht ohne jeden Grund in einen Krieg hineinziehen lassen werde, und Grey schrieb dasselbe nach Petersburg.«
    »Krieg? Ausgeschlossen! Und wenn auch, wir lassen uns nicht an die Wimpern klimpern. Und sie können ja nischt, diese Kerle von Russen. Die kriegen wir noch lange.«
    Ja du, dachte Martin höhnisch zu dem fetten kurzbeinigen Mann hinüber.
    In Appenweier stieg ei um. Ein Soldat saß da und zwei hübsche junge Frauen, Straßburgerinnen, sehr schick mit ganz engen Kleidern, entzückenden Schuhen und Riesenhüten. Sie plauderten französisch miteinander. Der Soldat, ein junger Mensch aus Ostpreußen, erzählte Martin in seinem harten, singenden Dialekt, kaum sei er auf Urlaub gewesen daheim, da hätte er wieder zurückgemußt. Seine Eltern waren auf dem Felde. Er hatte sie noch gar nicht gesehen, als ihm der Briefträger die Order übergab, die ihn in seine Garnison zurückberief. Mit dem nächsten Zuge sei er dann wieder abgereist. Martin betrachtete ihn aufmerksam. Nach zwei schlaflos verbrachten Nachten tief ermüdet, saß der junge blonde Mensch, dennoch sauber und gerade, aufrecht da. Ein gefälliges Lächeln in seinen blauen Augen. »Fünf Stück von uns müssen mit, wenn's losgeht,« sagte er in respektvollem Hochdeutsch. »Unser Ältester kommt eben aus China, den haben die Eltern drei Jahre nicht gesehen, nun kann er gar nicht erst nach Hause.«
    Er sagte das alles ungelenk unter verlegenem Lachen.
    »Diesmal kostet's viel Blut,« fing er wieder an, »ob wohl einer von uns Fünfen zurückkommt? I nein, ich glaube es nicht.« Er bürstete sich ein Stäubchen vom Ärmel.
    Die hübschen Elsässerinnen hörten auf zu plaudern. Sie sahen den jungen Menschen mitleidig an, und der Berliner Geschäftsreisende, der mit umgestiegen war, sagte, sich selbstgefällig umsehend: »Uns kann keiner! Was?« Dann wurde es still im Kupee.
    Und jetzt schlief der junge Ostpreuße ein. Erst artig grade, dann sich tief seitwärts senkend, und zuletzt liegt sein Kopf schwer auf der Schulter der Elsässerin. Sie sitzt ganz still. Der Geschäftsreisende ihr gegenüber macht einen anzüglichen Witz. »Oh non,« antwortet sie streng.
    Der junge Bursche schläft gut und lange. Sie rührt sich nicht. Endlich wacht er auf. Er wird blutrot, ringt wie ein ratloses Kind die Hände ineinander und stottert Entschuldigungen. Die Elsässerin lächelt, » Ah bah! Vous avez bien dormi, monsieur. Sie han guet g'schlofe. Sie han's arg nöti g'hätt.«
    Würdig und graziös drückt sie ihre verschobene Bluse zurecht und plaudert weiter mit ihrer Reisegefährtin. Auf französisch ...
    In der Nacht hatte Martin wirre Träume. Er war in Paris und vermochte plötzlich kein Wort Französisch mehr zu reden. Immer waren es deutsche Sätze, die er sagte, Gedichte sogar. Er wachte einmal auf, als er eines, das ihm sehr herrlich vorkam, laut aufsagte und hörte:
    »Und malte die Rosen des Schwarzen Adlers von Japan.« Da mußte er lachen und schlief beruhigt wieder ein.
     
    Sehr spät stand er am nächsten Tage auf, wollte ins Schlußkolleg gehen, bekam aber ein Billett aus dem Hotel »Ville de Paris«, das seinen Vorsatz wieder umwarf. Pauls Schwiegermutter, die Baronin Flèche geborene de la

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