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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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zerrissenen Lande und fanden unter Louis-Quatorze ein großes einheitliches Reich – une vraie patrie . Wir hatten Niederlagen erlebt und fanden die gloire . Man hatte gehungert und fand Sattessen unterdem Roi Soleil . Lange haben wir Deutschland geliebt. Wir lieben es noch heute. Cela veut dire, unsere Erinnerung, l'Allemagne d'autrefois, Deutschland von früher. Das neue Deutschland kennen wir nicht. Die Badenser, die in Mülhausen und Kolmar in unseren Fabriken arbeiten, sind arme Schlucker ohne Physiognomie. Wenn wir von Ihren Titeln drüben und Dekorationen lesen, so ist uns das fremd. Ihr Bier trinkt man hier nicht, und Ihre modernen Bücher liest man hier nicht. Das ist schade, denn wir sind nicht so begabt wie die Franzosen, die weniger aus Büchern, aber desto mehr aus dem Leben lernen. Und noch eins: Frankreich hat immer nur unsern Leib verlangt. Jamais la France n'a reclamé notre âme! Und das war klug, c'était sage . Hätte es versucht, uns unsere alten Gebräuche zu nehmen, unsere Familiensprache, nos traditions, ganz Elsaß wäre dagegen aufgestanden. Denn wir sind und bleiben nun einmal die deutschen têtes carrées die Eigensinnigen, Beharrlichen; und gerade das ist ihnen recht, à ces coquins de Français. Ils en profitent, sie nützen das aus. Unser Speck und Sauerkraut ist Delikatesse in Frankreich. Unsere derbere Struktur liefert ihnen die besten Soldaten, unsere Besonnenheit die besten Generale. Gerade daß wir so verschieden sind, das bildet das Band zwischen uns.«
    Frau Balde lächelte zu ihm hinüber. »Monsieur kann niemals enden, wenn er vom Elsaß spricht. Und wir wollten doch unserem deutschen Gast unsere Altertümer zeigen.« Sie stand auf, ohne eine Erwiderung abzuwarten.
    Balde folgte, und Hummel wurde nun durch die tiefen gewölbten Keller gefühlt, in denen noch Klosterwerk bewahrt lag, zerbrochene Kruzifire und Stücke von Grabsteinen. Wieder im Tageslicht oben sah er über der Treppenwindung in einer Wandnische eine wundervolle Holzmadonna, ruhevoll und lächelnd. Auch sie hatte man im Keller gefunden. Hummel sah sie lange an, er fand, sie glich Françoise. Balde zeigte die gute Arbeit »aus der Zeit des Straßburger Münsters«, den naturalistisch gegebenen Kinderkörper, und sprach kluge, frische Worte zu alledem. An Hummel rauschte alles vorüber, er dachte andie Frauen oben, Hortense, Lucile, Françoise. Und mitten zwischen ihnen die Madame de la Quine. Vertrautheit und Fremdheit schufen ein wundervolles Wogen in ihm, dem er sich überließ wie einem warmen, blauen Meere.
    Jetzt wurde er durch das Haus geführt.
    Martin Balde hatte ziemlich alles so belassen, wie er es ererbt hatte, und nun schien es wie gerade erst für ihn und seinen Hausrat geschaffen, der sich zusammensetzte aus der behaglichen Louis-Philippe-Einrichtung, mit der er geheiratet hatte, und den ernsten geradlinigen Möbeln des alten Hugenottengeschlechtes, dem Frau Balde entstammte. Und überall standen Françoises Sträuße von leuchtenden Sommerblumen auf den Tischen. Vor der Kornblumenschüssel im Eßzimmer lächelte Heinrich, wie wiedererkennend.
    Nun ging man an dem jetzt leeren Vorplatz vorbei, wieder in den Garten.
    »Eh bien,« fragte plötzlich Balde unvermittelt, »was denkt man bei Ihnen über die spanische Affäre? Die Kandidatur Ihres Hohenzollernprinzen,« setzte er hinzu, da sein Gast ihn ratlos ansah. »Legt man in Preußen der Sache großes Gewicht bei?«
    Hummel antwortete nicht gleich. Er hatte auf der Reise nur selten eine Zeitung zu Gesicht bekommen, von der Thronbewerbung eines Hohenzollernprinzen nur flüchtig und uninteressiert gelesen.
    »Sie meinen, das könnte zu Verwicklungen führen?« fragte er tastend.
    Der Maire zuckte die Achseln. »Man hat von der Gefahr einer Dynastie Hohenzollern in Spanien gesprochen, die Ihr Bismarck protegiere.«
    »Und Frankreich fürchtet das?«
    »Fürchten? Nein. Man möchte wohl vielmehr eine Ablenkung daraus machen.«
    »Ich verstehe nicht –«
    Balde schwieg einen Augenblick. »Seit den anderthalb Millionen Nein beim Plebiszit hat man Angst vor dem Volke,«sagte er dann. »Man fürchtet Revolutionen. Eugénie und die Jesuiten hetzen gegen die Protestanten, die schuld daran sein sollen. Die Preußen nun sind gleichfalls Protestanten, voilà . Nichts wäre der Kaiserin und ihren Getreuen erwünschter als ein kleiner Religionskrieg, der ein Beschäftigungsspiel für die Unzufriedenen bedeutete.«
    Einen Augenblick schwiegen alle. Dann sagte

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