Die Verborgene Schrift
einen großen Stoffbaldachin über sich. Unwillkürlich stutzte er.
Madame Schlotterbach selber, ein zierliches Persönchen, stand aufrecht am Kamin, beide Arme vorgestreckt. Sie war in ein Deshabillé von weißen Spitzen gekleidet, über und über mit gelben Rosetten garniert. Bourdon eilte auf sie zu wie auf einen Vorgesetzten. Sie hielt ihm erst die eine, dann die andere Wange hin, die er küßte.
»Bonjour, papa, vous allez bien?«
Bourdon stellte sich in dritte Position:
»Erlaube, daß ich dir deinen deutschen cousin präsentiere, Monsieur Hümmelle aus Jena.«
»Ah, entzückt, Sie zu sehen!« Sie reichte ihm die Fingerspitzen. Das vorn verschnittene glatte Stirnhaar lag wie einePelzkappe über den schwarz umränderten Augen. Der Puder gab ihren unregelmäßigen Zügen etwas Maskenhaftes, das den jungen Deutschen erschreckte. Man sprach Französisch. Die Dame fragte Hummel, wie ihm die Stadt gefalle, woher er komme, wohin er reise? Heinrich ertappte sich darauf, daß er versuchte, seine Antworten möglichst geistvoll zu gestalten, und amüsierte sich zugleich über seine Originalsucht, die von der ruhigen Banalität dieser französierenden Elsässerin unvorteilhaft abstach. Trotz guten Willens fühlte er sich hier unbehaglich. Die ganze Art dieses Zimmers, das aufdringlich auf Frau gestimmt war, befremdete ihn. Da standen auf dem Klavier große Sèvresgruppen verliebter Schäfer und Schäferinnen, eine große Vase mit künstlichen Blumen, die man vor die Feuerstelle des Kamins gesetzt hatte, zeigte als Malerei Amouretten und schmachtende Damen, auf den Marmortischchen lagen Goldschnittbücher, der Toilettentisch, deutlich ins Zimmer hineingerückt, war bedeckt mit Kämmen, Bürsten, Döschen, Flakons, Spiegeln, Parfümflaschen, Puderbüchsen und Schminkkästchen. Neben der Chaiselongue eine große halbgefüllte Konfektschale auf Füßen, bunte Papierfächer auf der Kaminplatte. Die Fenster waren fest geschlossen, es roch nach Puder und Heliotrop.
»Ich habe mich um dich geängstigt, ma chère !« sagte Bourdon. »Diese Umzüge und Drohungen!«
Madame Schlotterbach nahm den Fächer in die Hand, sie lachte. »O, wir haben nichts gemerkt von alledem, wir sind ganz abgeschlossen von dieser schmutzigen Fabrik. Théophile ist übrigens noch in Nancy geblieben, alte Stickereien anzusehen. Ich erwarte ihn jede Viertelstunde zurück. Unser Salon soll erneuert werden,« sagte sie zu Hummel. »Er stammt zum Teil noch von meiner belle-mère und war unmöglich. Es ist nur schwer« – sie lachte kokett – »Monsieur ist blondin , und mein Teint fordert Gelb.«
Heinrich begriff, daß er jetzt ihr etwas Schmeichelhaftes sagen müßte, aber einer verheirateten älteren Frau gegenüber ging ihm das zu sehr gegen Gewohnheit und Geschmack. Umeiner Pause zu entgehen, blätterte er in den Noten, die zwischen Modejournalen auf dem Klavier lagen: französische Walzer und ein paar Opernarien. Auf einigen der Blätter stand eine Widmung mit schönem Namensschnörkel von Napoléon Cerf.
»Sie treiben nicht deutsche Musik? Mozart? Beethoven?«
»Beethoven? Ah non, c'est trop triste .«
Der Pharmacien untersuchte indessen die Büchsen und Gläser auf dem Toilettentisch. Er nahm aus einer silbernen Hülle einen Stift und strich ihn sich prüfend über die Hand: »Ah, tiens , von diesem rouge bewahrt Tuteur Frères in Paris das Geheimnis.«
In diesem Augenblick trat, parfümiert, mit englischem Seitenbart, ein wenig geckenhaft, der Hausherr ein. Ein Duft von starken Zigarren ging von ihm aus. Er trug ein Monokel, und die Hand, mit der er seine dünnen blonden Haare strich, glänzte von Brillanten. Seine Begrüßung war formell.
»Sie befinden sich gleichfalls am Hofe von Jena, wie Ihr armer Papa?« fragte er den Besuch.
Und da ihn Hummel verblüfft ansah, fügte er hinzu: »Ich las es damals in der Todesanzeige, die man meinem Schwiegervater schickte.«
Hummel erklärte ihm, daß sein verstorbener Vater allerdings den Titel Hofrat besessen, daß aber ein Fürst von Jena nie existiert habe.
»Ah, also nie existiert? Das ist außerordentlich interessant! außerordentlich interessant!« wiederholte er ein paarmal.
Madame setzte sich graziöser auf dem kleinen Sofa zurecht. Sie empfand sich zwischen den drei Herren in ihrem Boudoir wie eine Herrscherin. Man begann nun regelrecht Konversation zu machen, plauderte mit Lebhaftigkeit über die Verschiedenheit von Paris und Provinz, über den französischen Hof, über die neuen
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