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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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sie auf die Stirn. Sie lachte für ihren Vater eine Kadenz, wie er sie liebte. Zu Frau Balde gewendet, beklagte sich Dugirard dann, der Maire sei nicht zu bewegen gewesen, heute an die Thur mitzukommen zum Angeln, seine »sales nourrissons« da drinnen seien ihm lieber als das Angeln mit ihm im Thurwald. »Ah, ce trâitre!« Er redete so rasch, daß Heinrich ihn kaum verstand. Seine kleinen braunen Augen wirkten exotisch in dem vergilbten Gesicht, der schwarzgefärbte Schnurrbart stand unternehmend über dem schneeweißen Spitzbartflöckchen. Man machte ihn mit Hummel bekannt, er verneigte sich höflich. Lucile stellte sich neben ihn. Siesteckte ihren Kornblumenstrauß enger in den festen Gürtel, so daß Hummel ihn sehen mußte.
    Vater Dugirard begann Konversation zu machen.
    »Finden Sie sie nicht reizend, diese kleine Stadt?« fragte er Hummel. »Das Stadthaus ein bijou , der Marktplatz eine Szene. Man scheint beständig durch ein Vaudeville zu wandeln.«
    Frau Balde lächelte. »Ich fürchte. Sie sehen uns nur deshalb so poetisch, Monsieur, weil man in Paris die Gewohnheit hat, die Vaudevilles in elsässischen Kostümen zu spielen?«
    »O nein, nicht nur das. Mir scheint auch in der elsässischen Landschaft ein sanfter, gemütlicher Zug zu liegen, wie wir ihn im übrigen Frankreich nicht kennen. Wir haben nicht einmal das Wort dafür. Das ist entschieden noch eine Erinnerung daran, daß dieses Land früher einmal deutsch war. Wir anderen Franzosen wenigstens fühlen das so. Nicht etwa, daß ich damit etwas Nachteiliges äußern wollte,« fügte er beflissen hinzu, und sich zu Hummel wendend: »Ich achte von meinem ganzen Herzen Deutschland mit seinen Dichtérs et Denkérs und Ihren Henri Aine.«
    »Heinrich Heine,« verdeutschte Françoise unwillkürlich.
    »Sein oder Nichtsein, müssen wir uns fragen,« zitierte Dugirard seinen »Henri Aine«. Er sah sich kindlich stolz dabei im Kreise um.
    Jetzt kam Balde. Heinrich spürte wieder deutlich das Wahrhaftige und Frohe, das von diesem Menschen ausging. Es machte schon Freude, das Behagen zu sehen, mit dem er seinen Wein trank und von dem Backwerk aß. Er redete mit großer Herzlichkeit auch dem jungen Gast zu einem neuen Glase und einem neuen Törtchen zu, legte ihm sogar selber ein Stück Gebäck auf den Teller. Hummel sah entzückt auf die schöngemalte Jagdszene des Porzellans, während er aß. Balde sagte:
    » Tenez, das ist etwas, was wir verstehen, wir Elsässer. Gutes Essen. Wir sind mehr gourmands – Vielfraß als die müßigen Franzosen und genäschiger – plus friands als die ernsten Deutschen. Mais voyez-vous, wir schämen uns auch unserer materiellen Bedürfnisse nicht. Wir verstecken sie nicht. Ja ja, meinjunger Freund, ich weiß recht gut, bei Ihnen beschwichtigt man seinen Körper heimlich, ohne Vergnügen, sans tambour ni trompette . Man will ihn nur sättigen und zum Schweigen bringen. Wir Franzosen dagegen, ja, wir versuchen, uns aus unseren Bedürfnissen eine Kunst zu machen. C'est ça. «
    In diesem Augenblick klang über die Mauer des Gartens herüber ein mehrstimmiger Gesang:
    »Es blühen die Rosen im Tale,
Soldaten ziehen ins Feld –
leb' wohl, du mein Liebchen, du feines,
von Herzen gefallest du mir.«
    Seltsam, dachte der gründliche junge Heinrich, warum singen sie nicht französisch?
    Auch Hortense Dugirard hatte aufgehorcht. »Fabrikmaidele, que j'aime cela ! Ich habe mich so gesehnt nach unseren alten Volksliedern.« Tränen traten ihr in die Augen. Frau Balde strich ihr leise, liebevoll über den Arm.
    Hummel hatte nichts gemerkt von dieser kleinen Szene, er kämpfte mit einer Frage, die er nicht mehr unterdrücken konnte. »Fühlen sich die Elsässer eigentlich mehr als Franzosen oder als Deutsche?« Er wurde verlegen nach dieser fast unfreiwilligen Explosion, die ihm selbst taktlos und ungeschickt vorkam. Wirklich entstand eine kleine Pause. Man lächelte. Dann aber setzte sich Balde tiefer in seinen weißen Holzsessel hinein und hielt dem wißbegierigen Gast eine längere Rede. Man merkte, daß es ihm Spaß machte.
    »Es hat lange gedauert, daß wir losgekommen sind von Deutschland,« sagte er bedächtig. » C'est vrai! Und lange hat's gedauert, bis wir Franzosen wurden. Jetzt« – er machte ein humoristisches Gesicht – »jetzt ist es vielleicht so: wir beten deutsch und rechnen französisch. Mais pour le reste – sehen Sie, mein junger Freund,« – er faßte vertraulich Hummels Arm – »wir kamen aus einem kleinlich

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