Die Verborgene Schrift
die des Maire von Thurwiller gehören sollte, so füge ich hinzu, daß trotz dieser Beeinflussung die Gefahr einer Revolution, von der man in den Tuilerien so viel spricht, in Wahrheit keineswegs vorhanden ist, und daß es nicht wohl angeht, diese Gefahr zum Vorwand zu nehmen für die Notwendigkeit eines Krieges, der die Unzufriedenen beschäftigen und ihnen den Ruhm ihres Kaisers wieder neu vergolden soll.
Diejenigen, die solches raten, haben Sonderinteressen.
Empfangen Sie, monsieur le Préfet – – –«
Als der Maire unterschrieb, sah ihm der alte Sartorius erstaunt auf das Papier. Er hatte einen Augenblick gemeint, unter dieser tapfer unzeitgemäßen Erklärung müsse stehen: »Honoré Balde, Curé.«
Aus der Baldeschen Küche klang eine wilde Janitscharenmusik von Kasserollen und Pfannen, da hantierte das Salmele und ließ seine Trauer um ihren »Vengtzenker«, der sie nun bald verlassen sollte, beim Putzen und Scheuern aus. Mit ihrem runden, strohblonden Kopf, dem sommerfleckigen Gesicht und dem ewig erstaunt geöffneten Mäulchen, aus dem kleine unzufriedene Töne kamen, sprang es ungeschickt traurig umher wieein klagendes Kälbchen. Am Fenster erschien hin und wieder Luciles braunes Köpfchen. »Pas encore?« Sie wartete aufgeregt auf den jungen hübschen Deutschen, dessen Besuch für heute nachmittag Vater Balde angekündigt hatte. Frau Balde im dunkeln Kleid, mit großer, weißer Schürze, ging ab und zu, holte warmes Wasser und reine Tücher und spülte gebrauchte Näpfchen. Sie half ihrem Manne in der Impfstube.
Jetzt klingelte es, das Salmele stürzte hinaus und kam atemlos zurück. Ein fremder Herr sei da, grausam groß, der Kirchendeutsch rede.
Frau Balde wies sie an, den Besucher in die Bibliothek zu führen, weil es im Salon zu heiß sei.
Dort wartete nun Hummel.
Angenehm kühl war es in dem verdunkelten Raume, der halbrund, mit einer einzigen Tür nach dem Garten hin, zur Sammlung lud. Rings breite Nischen, mit Bücherregalen gefüllt, zwischen den pilasterartig schmalen Wandflächen die tief hinabreichenden Fenster. Zwei kleine Bronzen waren da angebracht: Napoleon und der Große Kurfürst, »Protecteur des protestants français« stand auf dem Sockel des Kurfürsten. Aha! die Bürgermeisterin sollte ja französische Protestantin sein! Er sah weiter um. Sessel standen da, zueinandergewendet wie im Gespräch. Er betrachtete die schwarzgerahmten Bilder, die da ringsum in Augenhöhe hingen; Gravüren nach Gemälden von David, Lorrain und Correggio. Unter einer gemalten Landschaft hing ein alter gemalter Kupferstich, der die Stadt Thurwiller darstellte, noch mit dem Benediktinerkloster und den Befestigungen der Stadtmauer. Die Jahreszahl war eingraviert. Und überall Bücher. Ihre goldbedruckten Rücken glänzten in dem grünlichen Halbschatten, den die Marquisen-Rouleaus verbreiteten, braungolden auf. Hummel las einige der Titel: Rousseau, Voltaire, Schiller, Uhland, Molière. Dann Mignet, Victor Hugo, Béranger, Lafontaine; dazwischen Mörike und Goethes »Wahrheit und Dichtung«, alles schön gebunden, viele Bände anscheinend eifrig gelesen. Die Anwesenheit dieser erlauchten und vertrauten Geister machte ihm die fremdeStube heimisch. Überdies fühlte er sich angenehm berührt von dem sicheren, etwas strengen Geschmack der Einrichtung, der gute Tradition in sich trug. Dann aber dachte er wieder an seine beiden Mädchen aus dem Korn, Lucile und Françoise. Er war sicher, daß er sich in eine von ihnen verlieben würde, wahrscheinlich in die kleine Pariserin. Er machte es sich mit Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit klar, daß dies für ihn jetzt das Gegebene sei, ja, er fühlte dies nun fast wie seine Aufgabe hier im Elsaß.
Jetzt öffnete sich die Tür, und Frau Balde erschien. Sie entschuldigte ihren Mann, der noch beschäftigt sei, und lud Hummel ein, mit ihr auf den schattigen Gartenplatz hinauszukommen. Nach den ersten deutschen Worten sprach sie ihr gewohntes Französisch, fragte, ob sie es beibehalten dürfe, da sie trotz ihres langen Aufenthaltes im Elsaß sich noch immer nicht tadellos in Deutsch ausdrücken könne und sich ihrer ungeschickten Versuche schäme. Sie hatte dabei im Gang und Reden etwas so Schlichtes, erlesen Wirkendes, in der Art, wie sie ihr Kleid faßte und an sich zog, etwas so Elegantes, daß Heinrich, der sich auf eine kleinstädtische, durch den Besuch eines Fremden genierte Frau vorbereitet hatte, wohltuend enttäuscht war.
Sie traten jetzt in den
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