Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
Garten ein. Das Bibliothekszimmer befand sich auf dem linken der beiden Flügel, die das Baldesche Haus nach der Gartenseite ausstreckte, der rechte schloß mit einem kleinen Glasbau ab, der als Vorstube für das Ordinationszimmer des Doktors dientet Eine Anzahl Mütter mit ihren schreienden Bündelkindern im Arm, die größeren an der Hand, standen jetzt da und warteten, bis die Reihe des Impfens an sie kommen würde. Rosen und Klematis bedeckten die Mauerwände, auf dem Rasenplatz zwischen den beiden Seitenflügeln flatterten Girlanden batistener Damenwäsche. Das Ganze hatte etwas ländlich Liebes und Behütliches. Und diese beiden Steinarme bekamen jetzt, da eine seitliche Sonne sie vergoldete, eine fast leidenschaftliche Innigkeit. So als sehnten sie sich danach, ganze Generationen von Gästen zu umfassen.
    Jetzt kamen sie zum Birnbaumplatz. Die tief niederhängenden Zweige gaben einen schönen Rahmen ab für die drei jungenFrauenwesen, die dort hinter der Balustrade standen. Sie zeichneten sich als zierliche und klare Silhouetten ab von der grünen Hauswand.
    Lucile stand zuvorderst. Sie blickte mit großen, übertrieben unschuldigen Augen dem jungen Manne entgegen. Bei der Vorstellung machte sie eine kleine Kinderverbeugung. Sie ist es, die ich lieben werde, sagte sich Hummel. Wie pikant sie ist, der Kopf einer entzückenden Frau über dem kurzen Kleinmädchenkleidchen. Hortenses sehr gerade, etwas kühle Haltung verschüchterte ihn ein wenig, und Françoise erschien ihm seltsamerweise wie jemand, den er schon lange, lange kenne, mit dem man deshalb nur einen flüchtigen Erkennungshändedruck auszutauschen braucht. Und nicht einmal verwundert war er über dieses Gefühl der Zugehörigkeit. Aber eine rätselhafte Dankbarkeit, der er keine Richtung zu geben wußte, strömte in ihm auf und machte ihn glücklich.
    Man hatte sich an den Tisch gesetzt, der jetzt mit Karaffen roten Weines und Kuchen, Brot, Früchten und Käse besetzt war. Der Tisch hatte ovale Form, so daß jedermann jedermanns Nachbar schien. Hummel fiel die schöne Form der alten Silbermesser auf. Als er sich eine Birne nahm, stürzte der schwere silberne Nußknacker zu Boden. »Er fällt immer,« sagte Madame Balde liebenswürdig.
    Man plauderte. Zwischen den raschen, schwebenden Rhythmen der französischen Laute klang Elsässisch und Hochdeutsch hinein. Hummel sprach ein herzlich schlechtes Französisch, aber er versuchte sich tapfer immer wieder, angestachelt durch das frauliche Wohlgefallen an seiner Hilflosigkeit, das er um sich herum spürte. Lucils saß da wie eine Heilige. Entzückt betrachtete er ihr braunes Seidenköpfchen, das sich metallisch von Françoises frommblauem Kleide abhob.
    Diese kleine Pariserin liebe ich nun also, dachte er befriedigt. Humoristisch gab er dann seine erste Begegnung mit den beiden jungen Mädchen im Korn zum besten. Man lachte viel, alles war in heiterer Laune. Dann sprach man vom Rathaus und vom Ratsschreiber. Hummel erfuhr, Père Anselme sei FrançoisesTaufpate, die Mutter neckte sie mit ihren häufigen Besuchen bei dem Alten. Françoise machte ein ernsthaftes Gesicht. »Durch ihn habe ich Ihr Vaterland kennengelernt,« sagte sie zu Heinrich, »Père Anselme liebt es.« Zum erstenmal sah er ihre Augen. Er erschrak fast davor. Unwillkürlich wandte er sich ab, als habe er eine Indiskretion begangen.
    In diesem Augenblick flogen zwei Tauben auf, die im Birnbaum gesessen hatten. Sie waren durch die Spitze einer langen Angelrute beunruhigt worden, die an ihnen vorbei durchs Laub fuhr. »Nom d'un nom!« fluchte eine joviale Stimme. Ein Herr im eleganten Anglerkostüm tauchte seitwärts im Gassenschlupf auf. Er rüttelte ungeduldig die Schnur vom Baume los. Lucile lachte leise: »Voila papa!« Sie versteckte sich hinter Madame Baldes großem Stuhl. Der Straußenfedernfabrikant kam naher. Er trat durchs Pförtchen. Und als jetzt der Wind ein Paar auf der nächsten Leine, aufgehängter Spitzenhöschen leise formte, konnte er nicht umhin, mit sachverständiger Hand darüber zu streichen. Als er der Damen ansichtig wurde, machte er ein würdiges Gesicht.
    » Ah, mes toutes belles, ich lege mein Herz zu Ihren Füßen.« Er nahm galant Françoise den Stuhl aus der Hand, den sie für ihn frei machte. »Das ist nichts für Feenhände!«
    »Merci, monsieur« sagte sie konventionell.
    »Bonjour, papa!« rief Lucile plötzlich. Sie sprang aus ihrem Versteck heraus und umarmte ihren Vater.
    »Petite ingénué!« Er küßte

Weitere Kostenlose Bücher