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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Gesicht.
    Niemand sprach. Hin und wieder kämpfte sich der Mond durch das immer mehr zunehmende Gewölk und machte die Wegränder bleich. Man war bald zu Hause. Die Pferde liefen, Blanc brauchte nur ihnen nachzugeben. Man kam an ein schöngeschnitztes, sehr altes Haus, das ehrwürdig und traulich in seinem Gehöft zwischen Bäumen stand. »Das Pfennigsche Haus,« sagte Françoise, die Heinrichs bewunderndem Blick gefolgt war. »Es ist mehrere hundert Jahre alt. Noch mit deutschen Sprüchen im Gebälk.« Ein Trüppchen Soldaten schlenderte, ihre Mädchen im Arm, ihnen entgegen.
    Dugirard lächelte. »Ah ja, morgen früh ist Abmarsch! Sie haben nur diese Nacht noch. Das wird eine famose Aushebung werden in zwanzig Jahren.« Hortense legte mahnend ihre Hand auf seinen Arm. Dugirard räusperte sich. »Wie ist das bei Ihnen?« fragte er dann Hummel. »Wie lange sind die Leute Soldat?« Heinrich erklärte ihm in Kürze das Systemder allgemeinen Wehrpflicht. »Ja, aber wie denn? Kaufen sich die Reichen denn keine Stellvertreter?«
    Heinrich verneinte. »Bei uns ist es fast eine Schande, nicht dienen zu können.«
    »Dienen – Sie sagen das ganz recht, nach unserem Geschmack hat die Uniform immer eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einer Livree. Mein eigener Sohn ist ja freilich Offizier, aber er hütet sich gut, sein Kostüm in der Familie zu tragen.«
    »Wirklich? Nun, bei uns dagegen ist des Königs Rock ein Ehrenkleid. Und dann ist es doch auch ein ausgezeichnetes Erziehungsmittel.«
    » Et comment cela ?«
    »Nun, man befestigt seine Gesundheit gerade in den Jahren nach der Schulzeit, in der man den Körper so sträflich vernachlässigt. Und man lernt Disziplin.«
    » Ah, votre fameuse discipline prussienne : ein – sswei – marrrrrrsch.«
    »Und Sie selbst?« fragte Françoise laut in die Luft hinein, »müßten Sie sich schlagen, wenn es Ihrem König einfällt, mit einem anderen Krieg anzufangen?«
    Heinrich fühlte ihre Hand erkalten in der seinen. Mit einer Stimme, die jedes Wort zur Liebkosung für die Fragerin machte, erwiderte er: »Davor haben wir keine Furcht. Wir wissen, wenn es irgend einmal zum Kriege kommt, dann wird es nur für eine Sache sein, die uns selber angeht. Und für die würde man ja sowieso hinausziehen wollen.«
    Ohne daß er's wußte, nahm sein Gesicht einen stolzen und kühnen Ausdruck an. Alle mußten ihn betrachten. Man verfolgte das Gespräch nicht weiter. Wie auf Verabredung strebten alle nach dem bekömmlicheren Alltag zurück. Hortense und Dugirard begannen halblaut zu plaudern, gleichsam im Auftrag der Gesamtheit. Sie redeten über Dinge, die keinen von ihnen interessierten, konventionell, pflichtmäßig.
    Jetzt holperte man über das Pflaster von Thurwiller. Blanc bog mit einer allzu kühnen Kurve nach dem Kanal zu den Baldes hinüber. Diesmal hielt Françoise sich nicht so ängstlichfest an den Wagenseiten. Alles fiel durcheinander, man lachte, stieß kleine Schreie aus, alle redeten zu gleicher Zeit.
    Man stieg aus, Hummel und der junge Schlotterbach verabschiedeten sich, Blanc blieb auf dem Bock, den Wagen nach der »Krone« zurückzufahren. Man verabschiedete sich ziemlich hastig mit vielen » au revoir « und » à demain «. Nur Françoise, im Begriff ins Haus zu gehen, sagte leise: »Auf Wiedersehen, morgen!«
    Dann war alles verschwunden. Ein gelbes, kleines Lampenlicht, das da am Flurfenster gewartet hatte, bewegte sich immer tiefer ins Haus hinein.
    »Sollten wir nicht gehen?« sagte Victor Hugo endlich, da sein Todfeind und Ideal wie erzgegossen in merkwürdiger Haltung am Gitter stand, beide Hände im Gesträuch da vergraben, den Kopf wie ein Mondsüchtiger emporgewandt. Er mußte noch zweimal fragen, ehe Hummel sich entschloß, zu gehen. Und dann hörte der Knabe ihn murmeln und seufzen, daß ihm fast bange wurde. So gingen die beiden jungen Leute Arm in Arm durch die warmverhaltene Nacht, jeder seinen ganz besonderen Rausch in sich tragend.
    Plötzlich blieb Victor Hugo stehen. »Kamerad, ich gebe sie dir!« sagte er mit dumpfer Stimme. Dann brach er in Weinen aus. Hummel sah ihn schweigend an. Sie gingen am Kanal entlang zwischen dunstig versilberten Weiden. Es schien Heinrich, der den jungen Menschen ungestört sich sattweinen ließ, als höre er ein Wispern hier und da, flüsternde Menschenstimmen, er sah Uniformknöpfe aufblitzen, die hellen Schürzen der Mädchen. Ihm fielen Dugirards Bemerkungen ein. Der Gedanke an all die Liebenden, die sich heut nacht hier

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