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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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wieder z'ruck, du oder dine Söhn. So het er g'sait.«
    Die Junge hatte inzwischen eine kleine Holzschachtel geholt, in der eine schwarze Eisenkugel lag, die Kugel eines Hinterladergewehrs, wie sie Anfang des Jahrhunderts in Preußen üblich war. Sie gab Hummel die beiden kalten glatten Stücke in die Hand. » La voilà, monsieur, sie ist in zwei Stücken, sie langt jetzt für zwei Prussiens.« Und sie lachte, daß sie stöhnte.Hummel hielt die kleinen schwarzen Halbteile in der Hand. Sie schienen sich da zu krümmen, verwunden zu wollen, wie zwei böse runde Tierchen voll gesparten Gifts. Etwas Grausames haftete an diesen kleinen schwarzen Kugelhälften, die im Blute eines Menschen gebadet waren, von geduldigem Hasse zur Rache aufgespart. Der junge Mediziner, der so oft in Blut und Schmerzen hinein kühl beobachtend seine Arbeit getan hatte, empfand dabei eine merkwürdige Beängstigung. Er hob den Kopf. Da sah er immer noch die toten vorwurfsvollen Augen der Greisin auf sich gerichtet. Unwillkürlich schüttelte er sich. Er legte die beiden Kugelhälften auf den Tisch und trat ans Fenster. Ihm war einen Augenblick, als müsse er sich versichern, daß draußen noch die Brunneneimer klapperten, die Bäume rauschten und die Hühner tuckerten, daß draußen Friede war.
    Der Bauer hatte ein paar Werkzeuge zurechtgepackt und gab sie ihm. »En cas d'besoin,« sagte er, »für den Notfall.«
    Heinrich verabschiedete sich rasch. Die Frau brummte ihm nach. Die toten Augen der Alten folgten ihm bis zur Schwelle. Er war froh, als er draußen war.
    Seltsam verwirrt hatte ihn die ganze Szene; dieser zähe Groll der Blinden, das aberwitzige Belfern des jüngeren Weibes – er war sich wie gefemt vorgekommen zwischen ihnen. Und da war noch etwas anderes gewesen, etwas Bitteres, ihm selber Unklares; ein wirkliches Schmerzgefühl. Und warum eigentlich? Was gingen ihn diese Leute an? Was ging ihn überhaupt das Elsaß an? Oder ging es ihn vielleicht jetzt doch an? An dem Lächeln, das jetzt sein ganzes Gesicht überzog, erkannte er auf einmal, wie es um ihn stand. Also das? sagte er sich ganz erschrocken. Plötzlich jauchzte er auf: »Françoise, Françoise.« Wie ein thüringischer Bauernbursch schickte er einen Juchzer hinterdrein. Er fing an zu laufen. Ihm war, man habe ihm eine Kostbarkeit in die Hände gelegt, und es gelte, sie möglichst schnell in Sicherheit zu bringen, als laure man darauf, sie ihm zu stehlen. Blanche fiel ihm ein und Lucíle. Ach ja, Lucíle hatte er ja lieben wollen. Wiederlachte er, ausgelassen, getröstet, so wie Kinder lachen, die ihren Kopf in den Schoß der Mutter legen beim Versteckspiel, gewiß, daß niemand da sie finden kann.
    So überraschend und gewaltig hatte diese Offenbarung seines eigenen Gefühls ihm die Seele überflutet, daß noch gar kein Raum darin war für die Frage, ob wohl auch Françoise ihn liebe? Er schob das von sich fort wie etwas Störendes.
    Im Laufen redete er ein paar zusammenhanglose Worte vor sich hin. »Ihr Haar, ihr weißes Kleid, ihre Stimme,« sagte er.
    Vom Dache einer Scheune flogen Tauben auf; er erinnerte sich, einmal bei einer Feuersbrunst brennende Tauben gesehen zu haben, die wie glühende Kugeln in den schwarzen Himmel flogen. Und wieder hing dies irgendwie zusammen mit dem dankbaren Gefühl des Gerettetseins, das ihn erfüllte.
    Übermütig peitschte er mit dem entlehnten Lederriemen die Luft. An einer Stelle, die er vorhin nicht beachtet hatte, war der Bach blau von Vergißmeinnicht. Da bückte er sich und pflückte einen großen Strauß, den er locker in der Hand hielt und vorsichtig vor sich hertrug. Für Françoise.
    Er hatte jetzt den Richtweg erreicht, drei helle, jugendliche Gestalten kamen ihm entgegen und winkten ihm zu: der junge Schlotterbach zwischen Lucile und Françoise. Er vermochte kaum den Gruß zu erwidern, es schien ihm unerträglich, das Mädchen, das er liebte, jetzt zu sehen, die Empfindung, die er hatte, war beinahe Furcht.
    Beim Näherkommen riefen alle Drei zugleich: man habe ihn holen wollen, ihm den Weg zeigen, und wo er denn bliebe? Victor Hugo und Lucile schienen bei bester Laune. Im Wäldle hätten sie sich gelagert, sagte Lucile, romanesque sei es dort. Und man habe ihm schon die besten Bissen weggegessen.
    Françoise sagte kein Wort.
    »O die entzückenden myosotis !« Lucile zeigte begehrlich nach seinem Strauß. »Haben Sie die für uns gepflückt?«
    Er zog unwillkürlich die Blumen an sich heran, als wolle er sie schützen.

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