Die Verborgene Schrift
hätten! O, ich, sehe ihn von hier in all seiner Würde, sa tête de pipe en émoi!« Und sie lachte wie eine Tolle.
Hummel fuhr zusammen. »Um Gottes willen, man wird uns hören! Und überhaupt, gnädige Frau, auf welche Weise wird es Ihnen möglich sein, unbemerkt wieder durch den Gefängnishof in Ihre Anstalt zurückzukommen?« Sie sah ihn unzufrieden an. »Welche liebenswürdige Besorgnis, mein Herr! Aber glücklicherweise habe ich bereits heute nachmittag mit einem Schlüssel zu unserer Wohnung vorgesorgt, in den Hof komme ich mit dem Bäckerjungen, er verrät mich nicht, er ist galant.«
Heinrich nahm sich zusammen, er machte seine Hand frei. »Ich werde die Ehre haben, Sie sicher nach Hause zu begleiten,« sagte er steif und kam sich peinlich lächerlich vor. »Jetzt gleich,« fügte er hinzu, da sie gleichmütig nickte und sich von neuem an ihn drückte. Im Begriff, naher zum Pförtchen zu gehen, stand sie plötzlich still.
»Was ist das? Was ist geschehen? Vous faites une tête, mais une tête!« und da er nicht antwortete, mit einem bösen Zischen: »Françoise? Ah, Sie zucken zusammen. Ich darf den Namen nicht anrühren? Sehr gut, vortrefflich! Ich habe es mir ja gedacht. O, sie ist eine Feine, sie versteht ihr métier .« Sie fing an zu weinen, pathetisch und anklagend. Dann fuhr sie mit beiden Händen auf ihn ein, ließ aber vor seiner harten Miene die Arme sinken.
»Sie sind roh, mein Herr, ein echter Deutscher!«
Statt jeder Antwort bot er ihr den Arm, sie wegzuführen. Sie stampfte mit dem Füßchen auf.
»Man beleidigt nicht eine Frau, die man liebt.«
Er sah sie fest an. »Nein, Sie haben recht, gnädige Frau, das tut man nicht.«
Sie schrie auf. Ein breiter Blitz war vor ihr niedergefallen, prasselnder Regen folgte. Die junge Frau in ihrem dünnen Kleide drängte ans geöffnete Pförtchen. Mitten im Regen stand sie einen Augenblick still und drehte sich zu Heinrich zurück,der unschlüssig folgte. An einem Fenster oben zeigte sich Tante Amélies ausführliche Gestalt mit einer Kerze, sie befestigte die Riegel. Ihr Kerzchen zeigte sich noch hier und dort im Hause. Manche hatte sich vorsichtig geduckt, jetzt glitt sie geschmeidig zum Gartenhäuschen, öffnete die Tür und trat ein.
»Gott sei Dank, hier ist man doch nicht in Gefahr, seine Toilette zu ruinieren.« Sie schüttelte graziös ihre Volants. Dabei stieß sie gegen das alte breite Sofa. Sie lachte triumphierend. »Sie sehen, es ist Gottes Wille,« sagte sie zu Heinrich, der in der Tür stand. Der blieb steifernst.
»Ich bin glücklich, gnädige Frau, daß ich Sie hier in Sicherheit weiß. Sobald das Gewitter vorüber ist, werde ich wieder hier sein, um Sie nach Ihrer Wohnung zu begleiten.«
Damit war er in den Regen zurückgetreten, er hörte sie an das Fensterchen klopfen, aber er wandte sich nicht um. Barhäuptig, wie er war, stellte er sich mitten auf den jetzt menschenleeren Platz und ließ die zähen, kalten Faden an sich niederstreichen, sein heißer Körper erfrischte sich daran. Gereinigt kam er sich vor und frei zu allem Glück. Sehnsüchtig dachte er an Françoise. Was tat sie jetzt? Schlief sie? Dachte sie an ihn? Vielleicht betete sie. Es fiel ihm plötzlich ein, daß sie Katholikin sei. Das dünkte ihm einen Augenblick fremd an ihrem Bilde.
Er war inzwischen den Marktplatz rundum marschiert und schon völlig durchnäßt, immer noch zuckten Blitze, grollte der Donner und stürzte der Regen. Jetzt ein heftigerer Schlag. Er redete sich ein, das müsse eingeschlagen haben, beim Kanal drüben, bei den Baldes. Ohne Besinnen und Überlegen lief er sturmschritts dorthin. Das Haus lag breit und friedlich da, hinter seinem umgitterten Vorplatz, nur jetzt – zwei Gestalten, weiß mit wehenden Lichtern, von langem, falbem Haar umweht, bewegten sich feierlich aufeinander zu, begegneten sich, blieben stehen, am nächsten Fenster wieder und wanderten so von Stockwerk zu Stockwerk. Eine beugte sich einmal weit in den Regen hinaus und spähte durch die Nacht, ein Jubel stieg ihm in die Kehle, es war Françoise. Unwillkürlich hatte er ihren Namen gerufen, sie horchte, schüttelte den Kopfund war verschwunden. Ein Fenster im oberen Stockwerk wurde hell, stetig, unverrückt, aber niemand zeigte sich.
Da ging er, triefend und beseligt, nach seinem Posten vor der Apotheke zurück; er durfte die enttäuschte Frau im Gartenhaus da drinnen nicht im Stiche lassen. Er trat unter die Rathauskolonnade. Ihn fror. Die Rinnsteine murmelten und
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