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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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ein Luftzug kam.
    Hummel sah nach der Uhr. In einer halben Stunde etwa mußte er am Apothekergärtchen sein und in der unkleidsamen Rolle des Tugendboldes die schöne Blanche abschrecken. Er fürchtete sich ganz ehrlich davor und nahm das peinliche Vorhaben auf sich als eine gerechte kleine Buße für sein großes ungerechtes Glück. Heiße Scham kam ihn an bei der Erinnerung an seine Blindheit, in der er sich, täppisch wie ein wütiges Arena-Tier, auf die ihm neckend vorgehaltenen bunten Schleier, auf alles Welsche gestürzt hatte, weil es ihn reizte und lockend anfremdete. Er empfand nun in dieser Sucht, das Fremde kennenzulernen, etwas Komisch-Pedantisches, das ihn hier im Dunkel erröten machte. Wie mußte sie, die Elsässerin, über ihn lachen!
    Droben am Himmel sah er ein schwarzes, zottiges Wolkenungetüm zwischen grauen, tanzenden Dünsten einhertorkeln, das schien ihm sein lächerliches Ebenbild. Und doch, das wußte er jetzt, hatte er eigentlich immer nur an Françoise gedacht, die ganze Zeit. Gerührt betrachtete er ihren weißen Umhang, den er immer noch über dem Arm trug. Ganz ehrfürchtig faltete und trug er ihn durch die in ihrem Dunste kochende Stadt hindurch, in der es überall im Dunkel raunte und raschelte von Liebenden. Hinter jedem Holzstoß, auf jeder Bank gab es ein Pärchen, jeder Hausflur wurde zum Alkoven. Aus der »Krone« fiel ein breiter Lichtschein auf die Straße. Durch die geöffneten Fenster hörte man das lustige Französisch vieler Männerstimmen, das Knallen von Champagnerpfropfen. Dort feierten die Offiziere Abschied.
    Kurz vor der Apotheke stoben zwei Menschen auseinander; die verlegene, rundliche Gestalt der guten Brigitte drückte sich ins Pförtchen, draußen blitzten Soldatenknöpfe. Hummel redete die Magd freundlich an, sie solle sich nur durch ihn nicht stören lassen. Und er bliebe ja nun zu Haus und könne nach dem Rechten sehen. Da schaute sie ihn mit rotverquollenen Augen dankbar an. Gerade eben sei die Ablösungsorder gekommen für morgen. Er sei nun schon im sechsten Jahrgang, nächste Allerheiligen käme er frei, dann könnten sie heiraten. Hummel fragte noch, wie es dem Onkel gehe, und erfuhr,er sei wieder wohlauf, habe sogar zum Abend wieder ein »petit verre« im Café Français genommen. Die Verliebtheit sprach dem plumpen, braven Geschöpf aus Stimme und Haltung, als sie sich wieder zu ihrem Soldaten zurücktrollte.
    Hummel sah ihr neidvoll nach. Ihn erwartete jetzt ein weniger willkommenes Rendezvous. Immerhin war es ihm lieb, das Mädchen, deren Kammer auf den Garten sah, außer Hause zu wissen. Vorsichtig schlich er hinauf in sein Stübchen, legte den Hut ab und erfrischte sich, dann ging er durch das Haus ans Gartenpförtchen, das nur leicht von innen verriegelt war, und öffnete es. Mit entschlossenem Gesicht stand er da und wartete.
    Die Schwüle ringsum erbitterte jetzt sein Blut, er fühlte beinahe Haß gegen die »madame sans-gêne« , die sich in seine schönste Lebensstunde frech hineinschob. Und jetzt sah er durch die Büsche des Gärtchens hindurch sie drüben am Platz an den Häusern entlang streichen. Mondschein auf ihrem weißen Hütchen. Ein heißer Windstoß warf ihm Staub ins Gesicht und trieb Wolken über das Licht. Bald darauf hörte er Kleiderrascheln in der Nähe. Er hatte große Lust, sich still zu halten, sie womöglich wieder fortgehen zu lassen, aber sie hatte ihn schon gespürt. »Sind Sie da, mein Freund?« Sie nahm seine Hand, die schlaff herabhing, und führte sie an ihre Wange. »Fühl', wie heiß ich habe, ich bin gelaufen, o, ich bin gelaufen! Und einen ganzen Roman habe ich gelogen deinetwegen, o schrecklich!« Sie lachte vergnügt.
    »Ist das Lügen Ihnen schwer geworden?« fragte Heinrich, bemüht, einen Anfang zu machen mit dem Unartigsein.
    Sie achtete nicht darauf.
    »Ich habe dem braven Xavier gesagt, ich hätte so fürchterliche Zahnschmerzen, er soll nur ruhig einfahren und abschirren, ich wolle einen Augenblick in die Pharmacie eintreten, meine Tropfen holen. Geglaubt hat er es mir nicht sehr, ich habe es an seinem Blick gesehen, o, ein unverschämter Blick, er hätte eine Ohrfeige verdient dafür. Die Hauptsache aber ist, ich bin hier! Und es findet sich heute besonders gut, daß Monsieur de la Quine beim Abschiedsbankett der Offiziere inder ›Krone‹ sitzt, anstatt wie gewöhnlich um diese Zeit zu seiner belle rousse zu schleichen. Welches Drama, wenn wir uns plötzlich auf dem Marktplatz gegenübergestanden

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