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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Moose ein, und sein intelligentes Gesicht zeigte eine fromme Stille. Zu ihm setzten sich die Liebenden. Man bot ihnen Wein und von den guten Fouragepäckchen, die Françoise selbst am Mittag sorgfältig und liebevoll bereitet hatte. Hummel konnte nichts genießen, aber Françoise war wie ausgehungert. Sie versuchte erst zu fasten, weil sie sich dem bedürfnislos verzückten Liebsten gegenüber beschämend materiell vorkam, aber da er ihr gute Bissen von kaltem Huhn und Pastetchen zuschob, konnte sie nicht widerstehen. Er sah ihren gesunden, starken Zähnen zu wie einer Offenbarung.
    Victor Hugo hatte sich abseits gesetzt. Auch er war wieder hungrig geworden, aber die Leidenschaft des Edelmuts, die in ihm tobte, vertrug keine so banale Beschäftigung. Ich gebe sie ihm! sagte er sich mit unwillkürlich segnender Handbewegung. Ihm, der der Größte und Erhabenste ist, den ich kenne. Er dachte an Mucius Scaevola, der seine links Hand verbrannte, um seinen Mut zu zeigen. Er, Victor Hugo, verbrannte sein Herz. Ob man nicht ein Gedicht daraus machen könnte? Er hatte zu Hause ein orangefarbenes Büchlein mit der Aufschrift: »Poésies« . Sieben Gesänge standen schon darin, dazwischengepappt einige Haare von Françoise, die er ihr heimlich aus dem Kamm gestohlen hatte, als er ihr eine Bestellung seiner Mutter überbrachte und in ihr Schlafzimmer gelassen wurde, in dem sie nähte. Man betrachtete ihn ja immer als ein Kind! Aber sie würden schon erkennen müssen, daß er ein Mann war, ein Römer! Und er weinte vor Hunger und Edelmut.
    Hummel machte inzwischen aus Kräften Lucile den Hof, die sich aus dem Lachen nicht herausfand. Dugirard beobachtetedas zwischen seinen Scherzen hindurch sehr aufmerksam. Ganz gut vielleicht, daß sie diese ersten Übungen an dem Deutschen machte, das war ungefährlich. In Paris würde man sie dann wieder streng halten müssen.
    Hortense erbat jetzt einen Chorgesang; in Frankreich kenne man das nicht so wie »chez nous« , worauf Dugirard vorwurfsvoll erwiderte, ihr Zuhause sei doch jetzt bei ihrem Gatten in Belfort. Man sang zuerst ein paar kindliche Lieder, Françoise begleitete, ihre Lippen glühten, sie lächelte ohne Ursache.
    »Il court, il court, le furet,
le furet des bois, mesdames,«
    sangen sie. Dann stimmte Dugirard mit Chansonnettenstimme an:
    »Il était une bergère –«
    den Refrain sangen alle mit:
    »Eh ron ron petit patapon,«
    Dann kam die Strophe:
    »Mon père, je m'accuse
d'avoir tué mon chaton.«
    und die Antwort:
    »Ma fille, pour pénitence
nous nous embrasserons,«
    wobei Françoise so falsche Griffe machte, daß Hortense verwundert und dann plötzlich verstehend aufsah. Beim Schluß aber:
    »La pénitence est douce,
nous recommencerons«
    warf Françoise die Laute zu Boden und lief lachend davon; Hortense sah ihr nach, Hummel hielt sich mit aller Gewalt bei den anderen. Victor Hugo nahm das Instrument, hüllte es sorgfältig ein und trug es in seinen Armen, bis man wieder zum Wagen ging. »Die Strafe ist sehr lieblich,, wir fangen nochmals an,« summte Hummel in freier Übersetzung von Françoises Liedchen, ihr nachblickend.
    »Eine gute Stimme,« sagte Dugirard anerkennend. »Sie sollten Unterricht nehmen.«
    Die Rückfahrt war schweigsam. Heinrich hatte Françoises weißen Schal über den Knien, darunter sagten sich ihre undseine Hände viel liebe Dinge. Die übrigen waren nachdenklich oder müde. In der Luft lag Schwüle.
    Im Halbdunkel fuhr man, immer auf der großen, harten und staubigen Sulzer Straße durch Rädersheim und Ungersheim, deren Häuser und Häuschen die am Tage eingeschluckte Sonne an die Nacht weitergaben. Es war jedesmal, als führe man durch einen heißen, engen Hexenkamin hindurch, bis wieder die kühlere Landstraße kam. Aber auch hier war man wie eingehüllt in warme, schwere Staubluft, die unbewegte Wärme und die gleichmäßige Bewegung des Wagens machte schläfrig. Victor Hugo, der nur getrunken hatte und nichts gegessen, war leicht berauscht, er kitzelte Françoise, die verträumt abwehrte, mit einem aufgelesenen Heuhalm, spielte an Dugirards Repetieruhr und ließ sie unaufhörlich schlagen und fing endlich, wie ein wahres Kind, mit Lucile ein Bindfadenspiel an, verschlungene Fadenfiguren, die eins dem andern kunstvoll von den gespreizten Händen abnahm, sie neu verschlingend, und bei dem er wilde Verwirrung anrichtete. Dazwischen sah er mit Märtyreraugen auf den deutschen Eindringling, der gerade dasaß mit unnatürlich strahlendem

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