Die Verborgene Schrift
schluckten, das Pflaster, ganz blank, zitterte wie ein See. Er sah zu Père Anselmes Fenster hinauf, das tröstlich leuchtete wie das Auge der Ewigkeit.
Das Unwetter schien jetzt ausgetobt zu haben, der Regen hörte auf, graue Schwaden zogen wie steile Wände vor dem Winde her, in einiger Ferne grollte und wetterleuchtete es. Unbehaglich durch die tiefen Pflasterlöcher watend, tappte sich Hummel mit Schuhen, in denen es gluckste, nach Haus, seine arme Gefangene zu befreien. Er schlich vorsichtig zum Gärtchen herum, dessen Tür er leise öffnete, und ging zum Gartenhaus. Überrascht blieb er stehen. Er hörte Lachen und sah Lichtschein. Sachte glitt er zum Fenster. Da sah er die Quine, frisch und elegant in ihrem hellen Kleide, die Ellbogen liebenswürdig erhoben, eine Kaffeekanne in den Händen; jetzt sah er auch Onkel Camilles langes, weichliches Gesicht, ganz verliebt dreinschauend. Er hatte sein Hauskäppchen auf die Glatze gestülpt und hielt eine Kaffeetasse in der Hand, in die die junge Frau ihm einschenkte. Auf dem Sofa saß in Tollenhaube und Umschlagetuch Tante Amélie, gleichfalls eine Tasse vor sich.
Bei dem Geräusch, das Heinrichs schwergewordene nasse Stiefel auf dem Kies machten, drehten alle drei sich um. Blanche hatte ihn erkannt. Sofort erhob sie sich und sperrte die Tür weit auf. » Le voilà, le beau monsieur , ah, mein Herr Tartuffe, der den Unschuldigen spielt mit seinen roten Kinderwangen! Und nachher zieht man nachts heimlich auf Abenteuer aus. Fi donc! «
Und »fi donc« ahmten die Alten sie luftig nach, wie sie den Zeigefinger komisch nach ihm ausstreckend.
Triefend und verlegen wie er dastand, gab der junge Mann wirklich das Bild eines Schuldbewußten. Madame Blanche trat an ihn heran, ihn preziös mit spitzen Fingern zur Lampe drehend.
» Regardez voir , wie naß er ist! Hu! O ja, in solchem Wetter gehen mit Vorliebe die sündigen Geister um!« Voll höhnischen Triumphes sah sie ihm ins Gesicht. Tante Amélies dunkle Augen lachten den Neffen lustig an.
»M'r hätt's dem Herr Prussien gar net so racht zutraut. Sell g'fallt m'r jetz von ihm!« Auch der alte Camille grunzte einverständlich.
Sie erzählten nun, während um den armen Sünder herum sich ein See zu bilden begann, eifrig zu dreien die schöne Geschichte von den unerträglichen Zahnschmerzen. Grad als die arme Madame an der Nachtglocke läuten wollte, habe ein Betrunkener sie erschreckt, sie sei zur Gartentür geflohen und sei dort, vom Gewitter überfallen, eingetreten. Man schalt über die verliebte Brigitte, die wahrscheinlich den Riegel vergessen hatte. Als die Brigitte von ihrem Rendezvous nach Haus kam, habe sie die Madame im Gartenhäuschen gefunden, den Pharmacien geweckt, Madame Bourdon sei auch gekommen mit ihrem schönen Kaffee und Kuchen, und man habe es sich gemütlich gemacht.
»Und die Zahnschmerzen?«
»O, die seien von selbst verschwunden bei der guten Behandlung.« Und sie klopfte dem entzückten alten Camille die unrasierte Wange.
»Sehen Sie, mon neveu,« sagte der schmunzelnd, »so ergeht es uns Tugendhaften. Ihnen aber ist recht geschehen, daß Sie so vergewittert wurden. Von wegen Ihrer Lasterhaftigkeit. N'ai je pas raison ?«
» Parfaitement ,« bestätigte Blanche und tauchte ein Biskuit in ihren Kaffee. Tante Amélie hatte inzwischen dem »pauvre garçon« in ihre eigene große Tasse eingeschenkt und hielt ihm den gut dampfenden Kaffee unter die Nase. Dabei wisperte sie ihm ins Ohr: »Bei wem waren Sie denn? Sagen Sie's!«
»Raten Sie, Tantchen!«
Sie wandte sich enttäuscht ab.
Blanche zog die Handschuhe an.
»Ich muß jetzt gehen, Monsieur de la Quine wird sonst eifersüchtig. Leider ohne Grund,« fügte sie hinzu. Sie blickteBourdon an und legte in ihre Stimme so viel Süßigkeit, als sie nur konnte. Hummel wunderte sich über sich selbst, wie gefeit er nun war gegen ihre Künste.
Bourdon küßte ihr den halbentblößten Arm »Madame ist ein Engel.«
»Ah, so werde ich wohl versuchen müssen, ein wenig zu sündigen, denn ich bin gar nicht gewiß, ob es Engeln erlaubt ist, ihren Freunden in der Hölle einen Besuch abzustatten, und ich hätte gern diesen blonden Herrn dort, der ja sicher in die Hölle kommt, wiedergesehen, um zu beobachten, wie er die, armen Seelen tröstet. Denn hier auf Erden, nicht wahr?« – sie sah ihn vielsagend an – »hier auf Erden sehe ich keine Möglichkeit zu solchen Beobachtungen.«
Hummel schwieg. Sie biß sich auf die Lippe. Ihre Nase wurde weiß und
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