Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
schrecklich.«
    Sie erblaßte noch in der Erinnerung. Die Blumen, die sie gepflückt hatte, steckte sie sorgfältig in ihr Gürtelband. Die Liebenden sprachen nichts mehr. Zufrieden, dicht beieinander zu gehen, zufrieden, dasselbe zu sehen und in den Augen des anderen neu zu erleben.Sie kamen zum Waldrand. Ein frischerer Hauch wehte herüber vom Thurflüßchen, das metallisch aufrauschte.
    Langsam gingen sie am hohen Ufer entlang, zwischen Weiden und einzelnen Birken. Unten im Geröll des Flußbetts stand eine weiße korpulente Gestalt und angelte. Monsieur Dugirard. Blanc legte den Finger auf die Lippen, in sein Gesicht kam wieder das Lausbublächeln, das es so liebenswürdig machte. Er winkte den andern, es ihm nachzutun, und alle drei schlichen nun auf den Zehen hinter dem breiten, weißen Rücken vorbei. Außer Hörweite lachten sie wie Kinder.
    »Dieser Eindringling!« sagte Françoise. »Niemand sonst kommt hier in meinen Thurwald.« Sie gingen nun quer durch das Gehölz, das ihnen Schwärme von Mücken entgegensandte.
    »Die Weiden weinen,« sagte Françoise und schüttelte die Tropfen von ihrer Schulter. »Ja, Onkel Blanc, früher glaubte ich das nämlich wirklich, und ich fand das wundervoll märchenhaft, aber dann hat mir Jules Bourdon, der Sohn vom Pharmacien, gezeigt, daß es nichts ist als ein Büschel von Ungeziefer, das Feuchtigkeit absetzt. O, ich war so enttäuscht, geschlagen habe ich nach ihm!«
    »Sie hätten also lieber weiter an Ihr Märchen geglaubt? Sie scheuen es, klar zu sehn?« Etwas leise Schulmeisterliches klang hindurch.
    »Ich will nicht das häßlich sehn, was ich geliebt habe!«
    Er bückte sich tief. »Das sollen Sie auch nicht, Fräulein Balde,« sagte er halb erstickt. »Und es wird ein Ansporn sein für alle, die Sie lieben, niemals häßlich zu werden.«
    »Sehr interessant,« sagte Blanc und zog einen Brief aus der Tasche. Auch Françoise suchte nach Ablenkung. Sie sah sich um. Plötzlich stieß sie ärgerlich mit dem Fuß an ein gewölbtes Zweigwerk, das da auf dem Moosboden sich erhob. »Eine Marderfalle,« sagte sie. Eifrig riß sie das Gestell mit beiden Händen auseinander. Ein liebes Lächeln kam in ihr Gesicht. »Immer Sonntags nach dem Hochamt gehe ich in den Thurwald, Sonntags fängt sich kein Tier.« Sie lachte wie ein Bub.
    »Aber heute ist nicht Sonntag,« sagte Blanc.»Wirklich nicht?« Die beiden sahen sich an. Der Pfarrer nahm wieder seinen Brief vor.
    »Es ist sehr heiß hier, meine Nichte, und die Schnaken machen glorreiche Versuche, mich zu töten. Wenn du erlaubst – an der Thur dort ist es kühler. Ich habe auch meinen Brief noch nicht gelesen, er ist aus Straßburg von meiner Frau.«
    »Laß dich nicht stören, mein Onkel, ich zeige unserm Gast inzwischen das Hünengrab. Ich liebe es so sehr. Wir sind gleich wieder hier. Oder ziehen Sie es vor, mein Herr« – sie wandte sich zum erstenmal an Heinrich – »gleichfalls in das Kühlere zu gehen?«
    Der Onkel sah sie verwundert an. In das madonnenreine Oval ihres Gesichts war schüchtern ein kleiner spitzbübischer Zug getreten, der neu war an ihr, und der fast etwas Angestrengtes hatte. Heinrich aber verlor vor seines Mädchens lieber Evamiene den letzten kleinen Rest seiner Besinnung. Ganz verstört vor Seligkeit trabte er ihr nach. So gingen sie eine Weile. Der Weg wurde breiter. Ohne daß sie es wußten, hielten sie sich Hand in Hand.
    »Weißt du, daß du meiner Mutter, meiner Schwester gleichst?« sagte Hummel.
    Die neigte den Kopf ein wenig zur Seite, ihn von unten her zu betrachten. »Auch wir beide haben Ähnlichkeit miteinander,« meinte sie dann, und es war wichtig und geheimnisvoll, wie sie es aussprach. Sie prüfte weiter. »Unser Haar ist fast das gleiche. Wir sind auch vom gleichen Stamme, nicht? Meine eine Hälfte wenigstens.«
    Wäre Heinrich ein kühlerer Beobachter gewesen in diesem Augenblick, er hatte in ihrer anscheinend so vernünftigen Unterhaltung das Unsichere, Flatternde herausgehört; er selbst aber war viel zu aufgeregt, um das zu merken. Vielmehr verletzte ihn beinahe Françoises anscheinende Kühle und Gewandtheit. Sie liebt mich nicht, wie ich sie liebe, dachte er. Und bewunderte sie zugleich deshalb.
    Françoise sprach indessen weiter. »Ich glaube wirklich, wir hier im Elsaß tragen immer noch ein Stückchen alter deutscherHeimatsmelodie in unserm Blute. Manchmal hört man es auch. Ich muß an die Geschichte vom Posthorn denken, dessen Töne eingefroren sind und in der Wärme

Weitere Kostenlose Bücher