Die Verborgene Schrift
wieder auftauen.«
»Und jetzt? Spürt es jetzt die Wärme?«
Sie lachte nur.
»Und was tönt es jetzt?«
Sie wandte sich nah zu ihm. »Liebe, nur Liebe,« sagten ihre Augen. Dann auf den verhangenen Weg zeigend:
»Ein paar Schritte noch, und wir sind am Hünengrab.«
Sie waren an der Mulde angelangt, die ganz gefüllt mit den weißen duftenden Blüten der »reine des prés« den grünen Hügel umschloß. Eine einzelne hohe Kiefer ragte dort droben pathetisch in die Luft. Ihre untern Zweige lagen tief und dunkel auf dem Moosboden und bildeten da ein Nest. Françoise kroch vorsichtig dort unter und ließ sich nieder.
»Wie viele Male habe ich doch schon hier gesessen!«
Sie blickte, das Gesicht emporgewandt, an Heinrich vorbei, der vor ihr stand. Das durchfuhr ihn wie Eifersucht. »Mit diesem Herrn Jules Bourdon vielleicht?«
Sie lachte. »Wir waren Kinder,« erwiderte sie dann sanft. Aber seine Miene blieb umdüstert. »Siehst du, Françoise, wenn ich mir vorstelle, ich bin fern, und du, du gehst hier im Wald mit einem andern! Ach, warum quält man uns so?« brach er aus. »Warum müssen deine Eltern auf dieser Trennung bestehen; jetzt noch, da wieder Frieden ist.« Sie senkte den Kopf. »Auch du hast mich gequält, weißt du noch? gestern! –«
Er riß sie in seine Arme. »Ich verdiene dich nicht, ich weiß. Aber gestern war ich noch ein dummer Junge, das Fremde, Welsche imponierte mir an diesen beiden da, heute aber –« Er hielt sie heiß und fest an sich heran – »heute spüre ich endlich das wirkliche, das wahre Wunder.«
Sie sah lieb erwartungsvoll zu ihm auf.
»Dich, Françoise. Die Elsässerin, die mit französischer Sprache und dennoch den Zügen und dem Wesen meiner Heimat mir entgegentritt. Und – rätselhaft ist das – während ich am törichtsten verirrt war, immer habe ich doch gewußt, daß du zu mir gehörst.«»Und du zu mir.« Es klang wie ein Seufzer. Unwillkürlich legte sie, wie wehrend, beide Hände über ihre weißen Blumen.
Und plötzlich kam ein banges, schweres Verstummen zwischen beide. Sie sagten sich nichts mehr, konnten sich nichts sagen, Heinrichs Atem keuchte. Françoise schloß die Augen, um sein Gesicht nicht zu sehen, das ihr Furcht machte. Etwas Lähmendes legte sich über sie, das doch zugleich Seligkeit war, ihre Herzen klopften denselben Schlag, ganz laut. Dicht und brennend an ihrem Ohr hörte sie ein paarmal ihren Namen. »Heinrich?« wollte sie erwidern, aber die Stimme versagte ihr. Sie fühlte etwas aufstehn zwischen ihnen, das sie nicht gekannt hatte, und von dem sie wußte, daß es da nicht sein durfte. Dasselbe junge Mädchen, das eben noch trotzig der Mutter zugerufen hatte: »Dann werde ich seine Frau,« bebte jetzt zurück bei dem ersten heißen Anhauch jener Welt, von der sie nur Wissen, aber kein Kennen hatte. Sie fühlte die Leidenschaft dieses Mannes, den sie liebte, an sich heranbrausen wie die Flügel eines großen, starken Vogels, und sie streckte gegen ihn bange zitternde Hände, von denen sie nicht wußte, ob sie abwehren oder festhalten wollten. Und plötzlich sah sie etwas Unverständliches, das sie entsetzte. Sie sah, wie Heinrich sich mit beiden Fäusten vor die Brust schlug, das Gesicht verzerrt, die ganze Gestalt hin und her geschüttelt wie ein Baum im Sturm. Sie selbst, fast herausgeworfen aus seinem Arm, hatte Mühe, sich aufrecht zu halten.
»Wir dürfen hier nicht bleiben,« sagte er mit brüchiger Stimme. Sie hörte eine Angst aus seinen Worten. Mit langen Schritten, wie auf der Flucht, brach er durch die Zweige. An der Flußlichtung erwartete er sie.
»Laß uns deinen Onkel aufsuchen. Françoise!«
Noch einmal zog er sie behutsamem sich, und seine Lippen, die wie Feuer brannten, rührten an ihr Gesicht. »Wirst du mich nicht vergessen? Wie bald darf ich kommen? Schreibst du oft?«
Als sie wieder mit dem Pfarrer gingen, wurde die Qual groß zwischen ihnen. Blanc machte darum ein Ende. »Hier wollen wir uns trennen,« sagte er freundlich, da sie wieder am Wiesenwege standen. »Sie möchten vielleicht noch ein wenig verweilen. Undwir werden erwartet.« Sie gaben sich die Hände. »Auf Wiedersehen.« »Au revoir.« Sie wandten sich noch einmal um, zu gleicher Zeit, aber still, wie schon ermattet von ihren Schmerzen.
Nachdem Heinrich sich noch ein paar Augenblicke sinnlos da im Walde herumbewegt hatte, ging er nach Hause, wie blind und taub durch die Straße, erwiderte mechanisch die Grüße von Théophile Schlotterbach,
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