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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Hand hin, auf die er sich ehrfurchtsvoll neigte.
    »Ich bin so dankbar, so dankbar!« sagte er immer wieder. Dann kam eine verlegene Stille, Hummel fühlte, daß die Eltern erwarteten, er würde sich nun verabschieden, aber es schien ihm ganz unmöglich, fortzugehen, ohne Françoise wenigstens noch einen Augenblick allein gesprochen zu haben. Und wieder, wie gestern abend, erriet sie ihn.
    »Monsieur Hummel wird reisen, da er es versprochen hat,« sagte sie mit heller Stimme. »Aber vorher, nicht wahr?« – sie lächelte – »Papa wünscht ja, daß wir uns kennenlernen. Ich lade Monsieur zu einem kleinen Spaziergang in den Thurwald ein.« Sie war doch ein wenig blaß geworden bei diesemWagnis. Heinrich blickte erwartungsvoll zu Boden. Die Eltern schwiegen; sie sahen sich an.
    »Nun denn, ich werde Onkel Blanc bitten, uns als Gardedame zu begleiten, ich hatte ohnedies versprochen, heute mit ihm in den Thurwald zu gehen.« Etwas Liebenswürdig-Spöttisches lag in ihrem Ton, wie sie so kühn und höflich die strittige Frage löste. Auch die beiden Alten konnten ein beifälliges Lächeln nicht unterdrücken, Frau Balde ging selbst, ihren Brüder zu benachrichtigen. Der Maire sah inzwischen angelegentlich zum Fenster hinaus.
     
    Blanc und das junge Paar gingen auf dem schmalen Feldpfad dem Thurwald zu. Hüben und drüben am Weg standen Leute und richteten das Getreide, die Frauen in roten Röcken und hellen Kopftüchern. Der Tag war sonnenlos und weich, voll brütender Mittagswärme, aber nur Blanc spürte das. Im Schritt der beiden andern lag etwas Frisches, Federndes, das frühlingsmäßig wirkte.
    »Sie wollen nach Deutschland zurückkehren, wie ich höre?« begann Blanc zuletzt das Gespräch.
    »Ich erwarte noch Nachrichten, Herr Pfarrer. Aber ich glaube, da doch nun alles wieder friedlich steht, meine Reise wird nicht sogleich nach Thüringen zurückgehen. Ich möchte noch eine Weile hier in Ihrem schönen Elsaß bleiben, es besser kennenlernen. Ich habe nie geahnt, daß mir dieses Land so interessant werden könnte.« Er sprach zu Blanc, aber seine Augen richteten sich auf Françoise.
    »Ja, das Elsaß ist schön!« sagte Blanc. »Hier das kleine Thurwiller freilich kann ihnen keinen richtigen Begriff von unserm Lande geben. Straßburg müssen Sie sehn!«
    Françoise fuhr auf. »Straßburg!« Auch bei ihr sprach nur der Mund zu Blanc, die Augen gingen zu Heinrich hinüber. »Die Straßburger, ach, das sind ja Stadtleute, nichts als eine billige Nachahmung von Paris. Und überhaupt das Unterland! Nein, hier bei uns im Oberelsaß – Père Anselme hat recht – hier haben sich noch die alten Landsknechtsitten erhalten,grob sind sie ja, die Leute hier, das ist wahr, aber kernig und gerade.«
    Blanc lachte. »Aha, die alte Eifersucht zwischen Oberland und Unterland, sicher noch ein Erbteil der früheren Kleinstaaterei.«
    Aber er hatte in Heinrich keinen guten Zuhörer für seine Bemerkung. Sie gingen jetzt über die Wiesen, einer hinter dem andern, durch einen weißen Sternblumenwald. Das milchige Wogen, der scharfe Blütengeruch brachten den Verzückten in eine Art wollüstigen Schwindels hinein. Er wußte nicht mehr, ob er selber sich bewegte oder nur das andere um ihn herum. Gleichsam um einen Halt zu verspüren, begann er von seinem Zuhause zu erzählen, dem Jenenser Universitätsleben, von allem, was nun auch Françoises Zuhause werden sollte. Sie lauschte, die Augen gesenkt, das volle, helle Mädchengesicht mondhaft sanft gegen den düstern Himmel sich abhebend. Heinrich fuhr indessen fort, zu Blanc für seine Verlobte das Bild seiner Mutter, die er zärtlich liebte, zu malen. Unmerklich erhielt das Porträt Ähnlichkeit mit Françoises eigenen Zügen. Und in der Tat schien es ihm auf einmal, daß die beiden sich glichen. Im Lächeln irgendwie.
    Françoise bog jetzt seitwärts in die Blumenwildnis ein, in der sie bis über die Knie versank. Ihr blaues Kleid schien wie getragen von Blumen.
    »Ertrinken Sie nur nicht, Fräulein Balde!« rief Heinrich ihr zu. Wirklich hatte ihn eine kindische Angst ergriffen, sie zu verlieren. Sie kam zu ihm zurück.
    »Weißt du, Onkel Blanc, daß ich einmal beinahe ertrunken bin in solcher Blumenwiese? Ich war vier Jahre alt und der Wärterin davongelaufen. Hier ungefähr war's. Plötzlich packte mich die Angst vor dem Schratzmännchen, das da im Thurwald die alten vergrabenen Schätze hütet. Ich versteckte mich. Und dann fand ich mich nicht mehr heraus. Es war

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