Die Verborgene Schrift
wieder an, bemüht, ins Ruhigere einzulenken, »ebenso wichtig aber und sogar entscheidend ist es, daß die Familien und Verhältnisse zueinander passen, und daß seine Vermögenslage befriedigend ist. Vertiefen wir uns darum nicht in Probleme, ehe wir festen Boden unter den Füßen wissen.«
Aber Françoise schien sie kaum zu hören. »Meinst du nicht, maman , ich würde glücklicher werden als Hortense?«
Frau Balde faßte ihre Hand. »Glücklich!« Ihr feiner, fast asketischer Mund wurde noch schmaler. »Das persönliche Glück einer Frau, meine arme Françoise, ist es nicht allein, auf das es ankommt bei der Gründung einer Ehe. Wir haben Pflichten, wir Frauen, gegen den Staat, gegen Frankreich. Eine würdige und ehrenhafte Frau wird es sich zur Aufgabe machen, die traditionelle, fast gesetzmäßige Heiligkeit der Familie der Welt gegenüber zu verteidigen.« Ihr reines, tönendes Französisch füllte strenge den Raum und hatte an sich selbst bereits etwas Gemessenes, Gesetzmäßiges. »Und was immer der Mann draußen in der Welt Unmoralisches erleben möge,« fuhr sie fort, »in dieses Heiligtum darf nichts davon eindringen. Das eben ist Aufgabe der Frau! Nicht die Passion ist es,meine Liebe, sondern die vernünftige Überlegung, die die guten Ehebündnisse schafft.«
»Und du, maman ?«
Sie stutzte einen Augenblick.
»Dein Vater,« sagte sie dann und sah fast mädchenhaft aus dabei, »du weißt, wie sein Herz mit ihm durchgehen kann, er setzte alles daran, mich zu besitzen, obgleich ich keine Mitgift hatte. Ich habe ihn lieben gelernt in den Jahren unseres Zusammenlebens. Und überdies« – sie legte wieder einen Abstand von Respekt zwischen sich und die Tochter – »es sind nicht elsässische, es sind französische Ideen, die ich hier vor dir ausspreche, Françoise. Aber in diesen Ideen bin ich erzogen. Es sind die Ideen, durch die Frankreich groß wurde, es ist die Moral, die noch heute Frankreich erhält, und ohne die es zugrunde gehen würde. Ich glaube, ich hatte sie beinahe vergessen, diese Ideen, diese Moral, hier bei euch, wo man ja freier lebt und denkt als bei uns drüben.«
»Aber gehörst du denn nicht zu uns?« fragte Françoise erschüttert.
Frau Balde sah sie an. »Ich wußte es selber nicht,« sagte sie, »aber in den Augenblicken der wichtigsten Lebensentscheidungen wird einem wohl das, was man sich in der Jugend eingeprägt hat, wieder so sonderbar lebendig. Nun habe ich mit dir geredet wie mit einer erwachsenen Frau,« fügte sie dann hinzu, fast verlegen werdend.
Françoise antwortete nicht, ihr Gesicht verzerrte sich. »Moral, Ideen,« murmelte sie heftig – »soll man denn wirklich sein ganzes Gefühl einmauern lassen darin? Aber ich! Weißt du, was ich tun werde, wenn man ihn in den Krieg schickt? Ich werde vorher seine Frau.« Sie schrie beinahe.
»Wir würden es niemals zugeben, Françoise.«
»Ich würde einfach zu ihm gehen.«
»Das würdest du?«
Die beiden Frauen maßen sich eine Sekunde wie Feindinnen. »Du willst das Recht haben bei ihm zu sein, wenn er verwundet würde?« fragte die Mutter tastend, bemüht zu verstehen.»Auch das.« Sie blickte vor sich hin. Nein, sie konnte der Mutter nicht sagen, was in ihr vorging. Was in ihr aufgewacht war wie ein Feuer bei Hortenses: »Die Glücklichen sind unverwundbar«, und was in ihr weitergefressen hatte, lodernd und zitternd, und nach Ausweg suchte. Erst der Wunsch, ihn zu halten um jeden Preis, ihn zu behalten, etwas von ihm in sich zu behalten, wenn er ginge, zu ihm zu gehören, wie keine andere. Das war's. Angstvoll horchte sie zur Türe, die leise zitterte.
»Françoise, wir dürfen! Hohenzollern hat verzichtet, wir dürfen!«
Er flog auf sie zu und umarmte sie. Balde räusperte sich. »Das heißt – – unsere Verabredung bleibt deshalb doch bestehen, Herr Doktor!«
»Ja, ja,« gab der eifrig zurück. Er streichelte Françoises Hand, die zitterte. Das junge Mädchen sank nach der erregten Spannung der letzten Stunde wie ermattet in sich zusammen. Sie saß da, die Hände schlaff ineinandergelegt, und schaute mit großen glücklichen Augen zu Vater und Mutter hinüber, die leise miteinander redeten, während Heinrich fortfuhr, ihr zart und andächtig über Haar und Arm zu streichen. In abgerissenen Worten berichtete er von der Unterredung. Frau Balde hatte inzwischen das Telegramm genommen und gelesen, »Dieu soit loué!« sagte auch sie. Dann ging sie zu Françoise hinüber, küßte sie und streckte Hummel die
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