Die Verborgene Schrift
ihr Lyzeum geplant hatten.
Sie waren sehr verschieden, die beiden. Der junge Meckelen von einem Blond, das die Stuben erhellte, mit naiven, blauen Augen und einem grüblerischen Mund; etwas schwer in Gang und Geste, der Kopf immer ein wenig gesenkt. Victor Hugo brünett und geschmeidig, impulsiv in jeder Bewegung. Der junge Schlotterbach hatte eines seiner Schulhefte in der Hand und las begeistert daraus vor, was er bereits entworfen hatte. Arèvde von Meckelen nickte. »Aber sage doch, mein Alter, ist es auch gutes Französisch?«
Victor Hugo dachte nach. »Du hast recht. Man muß jemanden befragen, aber wen? maman ?« Er lächelte überlegen. »O, petite maman ist selber nie ganz sicher, ebenso Papa, Madame de Meckelen ist Deutsche, aber –«, er schnippte mit dem Finger – »wir sehen uns hier glücklicherweise vor Madame Baldes Hause. Sie ist Französin. Sie ist ganz das, was wir brauchen.«
So saß man denn wohl eine Stunde lang in Madame Baldes Boudoir beisammen und redigierte. Alle drei waren voll Feuer bei der Arbeit. Frau Balde, sehr gerade, wie gewöhnlich, an ihrem zierlichen Empireschreibtischchen, schön gemaltes Mahagoni, innen Helles Holz, zierlich bemalt. Den Kindern war dieser Schreibtisch, der, wenn man die Platte schloß, aussah wie ein Spinett, ein liebes Heiligtum. Kleine Porzellanbüsten von Rousseau und George Sand standen, sich spiegelnd, vor dem handhohen Zwischenaufsatz, ein blaues Glaskännchen mit Goldblättern geschmückt, das aus irgendeinem Badeorte stammte, eine winzige Schachtel aus Kokosnußholz geschnitzt, an dem ein Galeerensklave vierzig Jahre gearbeitet haben sollte, eine offene Onyxschale, in die Balde an Sonn- undFeiertagen seine Zigarrenasche abzustreifen pflegte. Alles war ein wenig Mysterium, betonte eine gewisse Entfernung der Hausherrin von den andern. An der Wand über dem Tisch hingen die Bilder von Frau Baldes Eltern, dazwischen eine Muschel, in der die Kreuzigung eingeätzt war. Und unter all dem Strengen, Kühlen stand unvermutet auf der oberen Pultgalerie eine reizende alabasterne Venus, ihre Tauben fütternd.
Den beiden jungen Leuten hatte das alles etwas Vollkommenes, das ihnen zu der Person der von ihnen verehrten Frau zu passen schien. Jetzt stand sie auf und las vor, was sie geschrieben hatte. Von den weißen Gardinen ihres großen Betts im Hintergrunde hob sich ihr Kopf streng und rein ab wie eine Kamee. Sie las elegant, jedes Wort ihres erlesenen Französisch genießend.
»Mein Herr Proviseur,
Im Augenblick der großen Ereignisse, die sich vorbereiten, und der allgemeinen Bewegung, die alle Herzen zur Verteidigung des Vaterlandes drängt, kann die Jugend der Lyzeen nicht die letzte sein, ihren Patriotismus zu beweisen. Wir haben den Krieg. Der Soldat wird mit seinem Blut bezahlen, der Bürger mit seinem Geld, sie schulden es Frankreich. Auch wir, in der Erwartung, einmal in einer tätigeren Art mitwirken zu können an der Verteidigung des Vaterlandes, auch wir sind im Begriff zu opfern, was wir Teuerstes haben: die Preise unserer Arbeit.
Wir verzichten auf unsere Auszeichnungen, um sie denen zu geben, die sich tapfer schlagen werden.
Wir bitten Sie daher, monsieur le proviseur , die Summe, die für unsere Preise bestimmt war, zu unterschreiben für die Sammlung zum Besten verwundeter Soldaten.
So klein auch unsere Gabe sei, so hoffen wir trotzdem, daß sie gut aufgenommen wird, und daß unser Beispiel – sollte man uns nicht bereits zuvorgekommen sein – nachgeahmt werde durch unsere Kameraden von den übrigen Lyzeen.
Die Schüler des Lyzeums von Mülhausen.«
»Nous renonçons à nos couronnes,« wiederholte Victor Hugo und ließ die Worte tönen. Er sah sich mit glänzenden Augen um. »Eh?« Die Knaben umarmten sich.
»Wir haben eine schöne Handlung begangen, eine schöne Handlung,« sagte der junge Schlotterbach und tanzte zum Takte seiner Worte im Zimmer umher. Meckelen blieb stumm.
Frau Balde erriet ihn. Sie wußte, daß der älteste Sohn der Meckelens in Nassau bei seinem Großvater, dem Freiherrn von Stein, erzogen wurde, und daß sein Vater ihn, der ganz Deutscher geworden zu sein schien, zurückverlangte, damit er sich in diesem Kriege Frankreich zur Verfügung stellte.
»Ist schon Nachricht da von Ihrem Bruder Germain aus Nassau?« fragte sie.
Arvède nickte. Er bekam Tränen in die Augen.
»Germain geht mit,« sagte er, »aber er geht mit Preußen.«
»Ah, und Ihre Eltern, wie nehmen sie es?«
Sein Mund zuckte. »Man spricht
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