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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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mich da nich um. Ich« – er lachte verschmitzt – »ich bleib' daweil hier und pass' auf die Wichter.« Er zeigte auf die Mädchen. Dann nahm er die hübschere der beiden in den Arm.
    Nun aber brach es los. Hochgehobene Arme, ein Geprassel von Schimpfworten. Im Grunde sah es gefährlicher aus als es war. Der Lärm hatte schon nachgelassen, als Toinette Groff, jetzt in Frauenkleidern und mit fliegenden Zöpfen, aus irgendeinem Winkel vorgestürzt kam und erst ihrem bien-aimé Tjark, dann dem Mädchen, das ihm gewinkt hatte, ein paar schallende Ohrfeigen gab. Geheul und das Krachen von ernsthafteren Schlägen folgte. Die Damen drüben schrien auf, und Cerf, der dicht neben der Leiter gestanden hatte, fuhr entsetzt zurück. Er drängte sich mit fuchtelnden Händen aus dem Gewühl. »Ich muß die Damen schützen.«
    Frau Bluhm hatte sich bereits mutig gackernd vor ihren Kindern aufgestellt. Auch ihr Mann eilte herzu, nahm die Jüngste auf den Arm und streichelte die Größere. »Siehste du, das kommt davon, wenn die Frauen auf die Straße gehen.«
    Sein Freiheitsbedürfnis machte halt vor seiner Familie, die er abgöttisch liebte und gern auf altorientalische Art von jedermann abgesperrt hätte.
    Manche war inzwischen auf einen Prellstein gehüpft und lachte aus vollem Halse über die aufgebrachten Männer da drüben, die sich an der Gurgel packten und ab und zu aufbrüllten. So konnte Cerf seine Ritterdienste nur der kleinen Frau Schlotterbach angedeihen lassen, die sich hingebungsvoll an ihn schmiegte. »Welches Unglück, dieser Krieg! Und mein Bruder Jules, der keine Anstalten macht, sich einen remplaçant zu sichern. Papa würde ihm sicher das Geld dazu geben, aber er will nicht.«
    »Bravo, ich liebe ihn deshalb,« sagte die Quine, die auch dort hinüberhorchte. »Und unser teurer Freund hier, ich bin davon überzeugt, wird genau ebenso mutig handeln wie Monsieur Jules.«
    Drüben war jetzt der Streit im Zerlaufen, es gab nichts mehr zu sehen, aber Blanche fühlte sich da gut auf ihrem Stein, der sie vereinzelte für die Blicke. Mit lebhaften Gebärden fuhr sie fort: »O, ich sehe Sie vor mir, Monsieur Cerf, auf einem langen, schmalen Pferde mit weißen Nüstern, Ihr Mantel flattert im Winde, Sie schwingen den Säbel hoch in der Hand und fliegen gegen den Feind, mitten im stärksten Kugelregen.«Madame Schlotterbach schrie leicht auf. »Aber das ist ja Verbrechen, ihm in dieser Weise zuzureden. Das ist ja Wahnsinn!« Dann wurde sie vor Schreck über sich selber flammendrot, hilflos ballte sie zwei kleine Fäuste in die Luft. »Und zudem, Sie wissen, er ist unentbehrlich hier. Unentbehrlich für die Politik, die Wahlen. Nicht wahr?« Cerf lächelte vielsagend.
    Blanche sprang mit einem Satze von ihrem Prellstein herunter. Sie stellte sich neben Cerf. Der aber, ohne sich ihr zuzuwenden, begann mit sanfter Stimme zu den Umstehenden zu sprechen.
    »Es ist manchmal schwer, sehr schwer« – er machte Märtyreraugen – »zu wissen, wo unsere Pflicht liegt. Aber es gibt ein untrügliches Zeichen, das unsere Wahl bestimmt. Sie wird immer auf die Seite fallen, auf der die schmerzlichere und schwerere Aufgabe liegt.«
    Frau Schlotterbach strahlte. Sie empfand diese Worte als eine Absage für die Quine, folglich eine Liebeserklärung für sie selbst.
    »Dinieren Sie heute mit uns?« fragte sie Cerf, »es ist fast sieben Uhr.«
    »Monsieur Cerf ist bei uns eingeladen,« sagte Blanche schnell, »es gibt einen vol-au-vent nach seiner Angabe. Und« – sie lachte laut auf – »sehen Sie doch, wie verängstigt er aussieht, weil ich ihn ins Feld schicken will. Ich bin ihm wirklich schuldig, ihn zu trösten, so gut ich kann.« Sie umarmte die kleine Schlotterbach. »Bon soir, chère.«
    »Bon soir, chère amie« – und sie küßten sich auf beide Wangen. Dann zog Blanche de la Quine mit ihrem Napoléon ab wie mit einer Beute. »Lâche,« flüsterte sie ihm zu. Dann, als sie außer Hörweite waren, blieb sie stehen. »Wenn du willst, daß ich dich weiter lieben soll, Léon, so mußt du ins Feld ziehen. Es handelt sich nicht nur um Frankreich, es handelt sich ganz einfach um mich. Denn ich hasse diese Deutschen. Und eine Frau wie ich ist es wert, daß man um sie stirbt.«
    Aber der liebe Léon machte ein ziemlich unglückliches Gesicht.
    Am Wallgraben, der die blassen Gärtchen der Süßen-Winkel-Leute begrenzte, stand der zerschundene, vor Wut noch immer dampfende Dreier-Tjark und ließ sich vonToinette mit seinem eigenen

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