Die Verborgene Schrift
ins Postfenster hinein. Das wirre Haar fiel ihr unter einem roten Strohbarett, das sie trug, zigeunerisch ins Gesicht, die blanken Zähne blinkten.
Quine lachte. »Da hat unser Maire eine glorreiche Idee gehabt.«
»Sie finden?« Célestine zuckte die Schultern. »Ich für mein Teil, ich finde es ein wenig beleidigend für die Stadt. Man würde glauben können, sich in einem Zirkus zu befinden.« Die Männer antworteten nicht.
»Habe ich nicht recht, monsieur le curé ?«
»Sie haben recht, Madame, sicherlich, aber es gibt in dem Leben der Gemeinden Zeiten und Konflikte, in denen auch die außerordentlichen Mittel erlaubt sind.«
»Und überdies« – Cerf bewegte seine schmale, rote Zunge – »das Mädel ist ja des plus belles .«
Célestine lächelte verzeihend.
Der kleine abenteuerliche Zug war gerade im Zuchthaus verschwunden, als man auch von der anderen Seite des Platzes her Taktschritte hörte. Ein unbekannter Offizier, mürrisch und schon alt, marschierte mit acht Mann vorbei nach der Kaserne. Die neue Besatzung war eingerückt. Lauter bejahrte, bärtige Männer.
Man sah sich enttäuscht an. »Mit denen werden unsere Frauen und Mädchen nicht zufrieden sein. Und es ist doch so amüsant gewesen, mit dem Wilddieb und der Toinette.«
Draußen riefen jetzt die Damen: sie wollten nach dem Stadthause hinübergehen, wo jetzt schon Tränkele auf der Leiter stand. Madame Bluhm, mehr breit als hoch, rollte ungeduldig ihre Kette von dicken Elfenbeinperlen über ihren Busen hin und her. Sie hatte zwei geputzte Kinderchen neben sich, schwarzäugig, grellstimmig und bunt wie kleine Papageien. Die Quine, nervös, trippelte bereits voran. Sie winkte Cerf zu sich. Madame Schlotterbach ging mit Quine, sie fragte ihn nach der kleinen Berthe, die im Kloster Masern bekommen hatte. Zuletzt kam noch Madame Bourdon herunter. Sie war in großer Sorge um ihren Sohn, der im Begriff schien, eine übereilte Heirat zu machen. Er war in Wissembourg bei einem befreundeten Apotheker zu einer Hochzeit geladen. Dort wollte man ihm eine Verwandte des Hauses präsentieren, deren Eltern seine Werbung gern sehen würden. » Une bonne dot, c'est vrai , aber's Maidele redt kei Wort Ditsch,'s kann uns net versteh, wann m'r Elsässerditsch rede.«. Sie jammerte laut, die Tabaksdose zitterte ihr in den fleischigen Händen.
Unter den Kolonnaden standen schon die Stammgäste des »Lustigen Bruders«. Ungeduldig guckten sie zu Tränkele herauf, der mit dem Klebepinsel hantierte, während seine üppige und schlumpige Gattin ihm den Kleistertopf hielt. Derkleine, flinke Schneider, der gebückt zwischen den Leitersprossen hindurchguckte, teilte brockenweis mit, was er las: » Les jeunes gens de l'arrondissement, die junge Bueble vom Arrondissement, sin invitiert, daß sie sich solle inschkribiere als Volontärs in d'r Lischt z' Kolmar im Hôtel de ville .«
» Sacré nom !« Ein kleiner Bäckerbub, der da stand, jauchzte hoch auf. »Nix schaffe derfe d'r ganz Tag, ummeflaniere mit d'r fusil untrm Arm, und alles zahlt 's gouvernement .«
» Pas mal ,« meinten auch ein paar Erwachsene. Der Älteste vom Justin, der Markttags in Thurwiller einkaufte, tat einen grellen Stromerpfiff, seine knochigen Hände krallten beutelustig ins Leere.
Jetzt kamen zwei Burschen an, Bauernsöhne aus der Umgegend, Vater und Mutter neben sich, jeder zwei Mädchen am Arm. Ihre Joppen waren an der Brust von Papier- und Stoffblumen dicht besteckt. Sie rochen weithin nach Kirschschnaps.
»Sie haben ihre Marschrouten bekommen,« erklärte Cerf den Damen. »Die Glücklichen!« Er hielt sich sein Taschentuch vor die Nase. Die Quine, reizend in einem grünseidenen, weit abstehenden Kleide und einem kleinen, wippenden Spitzenhut, ging auf die beiden Burschen zu. Sie nahm ein paar Rosen aus ihrem Gürtel und gab jedem eine davon. »Vive notre vaillante armée!« Sie hob anfeuernd den rechten Arm. Alle klatschten.
» A oroquer, la jeune femme ,« sagte die Bourdon, »grad zum Fressen.«
Drüben hatte sich eine Rauferei entwickelt. Eines der hübschen Mädchen, die mit den Bauernburschen gekommen waren, hatte dem Friesen zugewinkt, der gemächlich herantrat und sie um die Taille faßte. Ihr Beschützer geriet in Wut. Er hielt dem Eindringling die geballte Faust unter die Nase. »Was häsch do umme z'tappe, animal , dreckiger Chaib, Prussien !«
Dreier-Tjark, breitbeinig, die Pfeife im Mund, lachte fröhlich. »Na, dann trekt man los und slagt euch wie die Swine, ich kehr
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