Die Verborgene Schrift
mit mir nicht darüber. Aber maman geht aus dem Zimmer, wenn Papa von unseren künftigen Siegen spricht –«
Victor Hugo umschlang ihn. Frau Balde aber stand auf. Sie war lange genug im Elsaß gewesen, um zu wissen, wie man hier zu trösten hatte. Sie holte eine Platte frisch duftenden Apfelkuchen von der Küche herein und bot den beiden jungen Helden davon an. Victor Hugo biß kräftig ein, und auch Arvède schien in der Leckerei einigen Trost zu finden.
Man sprach nun von dem Studiengang der beiden jungen Leute nach dem Kriegs.
»Germain wird natürlich das Gut übernehmen,« sagte Meckelen. »Dann werde ich wohl Jurist werden müssen. In den Kaufmannsstand zu treten, hindert mich ein wenig mein Name. Das heißt, Papa hätte nicht viel dagegen, die Steins aber, die Familie meiner Mutter, wehren sich. So werde ich wahrscheinlich nach Paris reisen und dort ein wenig studieren und danach, um meine deutschen Verwandten kennenzulernen, ein Semester nach Marburg gehen.«
»Marburg, wo liegt das?« fragte Victor Hugo.
»In Hessen, es gehört zu Preußen.«
»O ja, das wird herrlich.« Er hüpfte begeistert in die Höhe. »Bis dahin haben wir es ja erobert, dein Marburg, und esfranzösisch gemacht. Dann studieren wir dort zusammen, nicht wahr?«
Als sie gegangen waren, sah Frau Balde ihnen fast zärtlich nach. Sie hatte sich immer so sehr einen Sohn gewünscht. Als ihre Töchter geboren wurden, hatte ihr die Hebamme beidemal auf ihre Frage geantwortet: »Kein Sohn, Madame, aber ein Schwiegersohn.« Und nun? Armand Dugirard machte ihr Kind nicht glücklich, und Françoises Erwählter war ein Deutscher! Vor ein paar Tagen noch wäre ihr das nicht als ein Unglück erschienen. Aber heute –!
Sie erhob sich. Mit ihrem schlanken, festen Schritt ging sie zur Küche, um Balde, der jetzt so angestrengt war, sein Lieblingsgericht zu bereiten. Eine dicke Abendsuppe, mit Bohnen. Sie liebten so derbe Speisen, diese Elsässer. – –
Hortense hatte Françoise gebeten, sie nach Mülhausen zu begleiten. Sie fürchtete das Alleinsein nach dem Abschied von Armand.
Schweigend und unruhig fuhren die Schwestern zwischen den schon kahlen Feldern und hitzeverbrannten Wiesen dahin. Allmählich aber atmeten sie auf. Der Tag war herrlich. Über die hohen Mauern herüber blühten weiße, offene Rosen. Durch den Weinbehang der Häuser leuchtete die Sonne. Soldaten begegneten ihnen, geschmeidig in ihren grünen Uniformen auf leichten, lustigen Pferdchen. Jedes der dunklen, eleganten Tiers trug zwei Heubündelchen am Rücken. Die Husaren grüßten, winkten und lachten den beiden Damen nach. Eine halbe Stunde später, vor einem Dorfwirtshaus, stand eine blauäugige, breite Wirtin und zerschnitt eifrig lange Brotstangen für einen Trupp Soldaten, der bettelnd herandrängte. Sie hatten seit Marseille nichts gegessen, sagten sie. Ein halbwüchsiger Bursche schenkte ihnen grünen Schnaps ein. Sie klatschten in die Hände vor Vergnügen. Die Wirtin wollte sich halbtot lachen über ihre Sprache, die sie nicht verstand. Ein Lothringer dolmetschte. Aber das: »I geb's umsunscht« und »Ihr derfen nix zahle« verstanden sie auch ohnedies.
Getröstet wirbelten sie ihre kleinen Schnurrbärte, schwatzten und sangen. Hortense ließ den Wagen halten und verteilte von den mitgenommenen Zigaretten an die Leute, was ihr ein begeistertes »vive« eintrug. Vergnügt fuhren sie weiter.
Der »Kronen«-Kutscher, der sie fuhr, redete ihnen zu, da sie noch viel Zeit hätten bis zur Ankunft des Belforter Zuges, sich in Mülhausen das Biwak anzusehen, das ein paar Minuten von hier im Tale lagerte. Zwei Bataillone von Jägern.
Schon am Saume des Wäldchens sah man allerhand Brettwagen stehen. Die Landleute, die sie hergebracht hatten, gingen Arm in Arm in langer Reihe hin und her und bestaunten die Menge weißer Zelte, die da auf der Wiese standen. Auf dem mittelsten bewegte sich leise im Winde die Trikolore. Soldaten kamen und gingen, einige lagen ausgestreckt und schliefen, andere rauchten, spielten Karten. Hier und da ging einer mit seinem Maidele untergefaßt. Sie küßten sich aus vollem Munde. Drüben stieg weißer Dampf in die Höhe. Der Wind, der herüberkam, brachte den Geruch von gekochtem Hammelfleisch mit.
Die Zelte der Offiziere befanden sich etwas seitwärts zwischen hohen, herrlichen Baumgruppen und Buschwerk. Beinahe kokett sahen sie aus. Hortense und Françoise waren langsam am Lagersaume hingetreten und betrachteten nun die hübschen Jungen
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