Die Verborgene Schrift
Glanz von Unerschrockenheit und Abenteuer. Als er die Türme von Basel sah, beschloß er, sich zu verbergen. Aber die Gastfreunde hatten ihn schon gesehen. Er war verloren, denn er war in Sicherheit.
Françoise war mit Hortense und der Kleinen in die Kirche gegangen. Sie hatte den Blick auf das Allerheiligste gerichtet und dachte dabei an ihre Kinderzeit, da sie beim Anblick der Dreieinigkeit und des Ewigen Lämpchens vor Andacht und Hingebung verging. Heute saß sie stumm, fast abwehrend da. Der Mann, den sie im Herzen trug, war Protestant, sie wollte keine Inbrunst mehr an etwas wenden, das er nicht mitempfinden konnte; vielleicht nicht billigte.
Sehr gut entsann sie sich noch der Qualen, die sie ausgestanden hatte, wenn maman zur Feier des Fronleichnams mit in die katholische Kirche kam. Maman war ja eine Ketzerin, maman mußte in der Hölle brennen. Während sie im weißen Kleidchen, ein Kränzchen im Haar, mit den anderen kleinen Mädchen beim Umzug die goldenen Bänder eines Banners hielt, erwartete sie jeden Augenblick den strafenden Strahl von oben auf das liebe Haupt fahren zu sehen. Und wenn dann die anderen kleinen Mädchen zu ihren Eltern gingen, stand sie mit Hortense allein da. Papa ging niemals in die Kirche.
Später hatte sie sich dann mit besonderem Eifer den kirchlichen Anforderungen gewidmet, keine Messe, keinen Gottesdienst versäumt, hatte jeden Fronleichnam die Madeleine gemacht, alles im Gefühl, sie müsse ihre Eltern bei Gott vertreten. Dann war auch das vergangen. In dem Maße wie ihr eigener Glaube stiller und innerlicher wurde, begann sie die Überzeugungen der anderen zu achten. Hortense war weniger tolerant. Auch war ihr der Katholizismus gleichsam eine Frage der gesellschaftlichen Rangordnung. Außer ihrer Mutter, die sie liebte, und Pierre Füeßli, den sie achtete, mißtraute sie ein wenig den Leuten, die nicht der alleinseligmachenden Kirche angehörten.
Inzwischen sang man die Messe. Unmerklich bekamen die wohlbekannten, eintönigen Melodien Gewalt über Françoise. Sie ließ sich tragen von einer angenehm feierlichen Wonne, die Ruhe brachte und Vergessen alles Zeitlichen. Eine süße Müdigkeit bemächtigte sich ihrer. Es störte sie nicht, daß sie sah, wie der kleine Justin, der Meßnerdienste tat, zwischen den Knixen ungezogene Gesichter schnitt, oder daß die Bauern ringsum schliefen. Der Duft des Weihrauchs, das Aufblitzen der Weihgefäße, wenn sie hin und her geschwungen wurden im heiligen Dunste, die Bewegung ihrer Ketten hatte etwas unbeschreiblich Beruhigendes für sie.
Nun begann der Curé seine Predigt. Die Stimme des Mannes war ihr unangenehm, sie hörte ihr nicht zu, sie träumte weiter. Einzelne Worte, die sie von sich wies, kamen in ihr Ohr: Krieg müsse sein, um der Herrlichkeit des Höchsten zu dienen und sie zu offenbaren, um die Überhebung der Irreligiösen zu zerstören. Gerade hier im Elsaß habe in letzter Zeit der Unglaube erschreckend um sich gegriffen.
Françoise dachte einen Augenblick flüchtig, nun müsse der Krieg auch noch dazu dienen, die alte Leier des Curé neu zu vergolden. Jetzt hörte sie die Worts »Voltairianer, Ketzer, Liberaler«. Zugleich hatte sie die Empfindung, als würden sie von den Leuten in den Bänken angesehen. Aufblickend, sah sie Hortensens Gesicht totenblaß und hochmütig starr in die Luft gerichtet.
»Dreimal wehe aber,« sagte der Curé, »wenn die Obrigkeit selber sich auf ihr eigenes Urteil verläßt, anstatt sich Kraft in der Kirche zu suchen für die schwere Zeit, die uns bevorsteht.«
Hortense riß ihr Kleid an sich heran. »Laß uns gehen,« sagte sie ziemlich laut auf französisch. Sie hob ihr Kind, das die Händchen zusammengelegt, artig in die Lichter starrte, von der Bank und zog es an sich.
Françoise folgte. Draußen stand ein Trupp Männer vor der Kirche und warteten auf ihre Ehefrauen und Liebsten. Hortense, ihrer selbst nicht mächtig vor Zorn, rief ihnen zu: »Do drinne können ihr's höre, die grande nouvelle : eure Maire gehört ins Narrehüs!«
Die Leute sahen sich an. Dann, neugierig geworden, drängten sie sich in die Kirchentür und horchten.
In den Wirtshäusern dann nachher wurde es ausgemacht: Mit dem Maire war ebbes net racht. »M'r kann's net wisse, am End' isch er gar espion . Un sine Madam, die isch jo fascht so gut wie a Prussienne . Sie glaubt net an die saints sacraments .« Aber sie beruhigten sich wieder. Martin Balde hatten sie alle gern.
Die Pickelhauben waren nicht
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