Die Verborgene Schrift
sollten, erschienen niemals.
Man gab auch ihnen, was man hatte, ohne Bezahlung, denn sie hatten kein Geld. Als aber die Vorräte verbraucht waren, kam es zu täglichen Gewaltszenen. Die Soldaten wetterten gegen die »maudits Alcasiens« , die »bêtes d'Allemands« , mit denen man nicht einmal Französisch reden konnte. Sie zerstörten aus Wut den Leuten, die ihnen nichts mehr zu essen geben konnten, Gerät und Haus.
Auch sonst führten die Bürger Klage über sie. Abends hörte man am Wall im Süßen Winkel die Mädchen kreischen. »Sie hausen wie die Kosaken,« klagte man, »die Preußen könnten es nicht schlimmer machen.«
Die Thurwiller waren sehr traurig über alles das. Bisher hatte man in jedem Franzosen, der herüberkam, das große Frankreich verehrt, in jedem Soldaten die französische Armee, nun war es plötzlich, als sei man götterlos geworden, heimatlos. Wie Schutzsuchende drängten sich die Leute um Balde, alles sollte er schlichten, allen raten. Der Vorgarten seines Hauses war wie ein Zeltlager. Er hatte Vorräte kommen lassen aus Kolmar und Mülhausen, die teilte er aus. Seine Frau und die Töchter kochten auf dem Vorplatz an offenem Feuer für die Soldaten.
Dazwischen hatte man die Offiziere zu belehren. Sie hatten eine Karte von Deutschland mitbekommen, aber nicht von Frankreich; nun mußte man ihnen klarmachen, daß die Hardt, über die sie durchaus eine Brücke schlagen wollten, kein Fluß, sondern ein Wald des Elsaß sei, man mußte ihnen sagen, wo der Schwarzwald liegt, und wo der Rhein fließt, und sie versichern, daß Kolmar nicht zu Preußen gehört, sondern eine französische Stadt sei.
Inzwischen wartete Balde immer noch auf die versprochenen Waffen. Er hatte den Bescheid aus Paris bekommen, man könne dem Ersuchen der Franctireurskompagme leider nicht nachgeben, da bei der Regierung der Argwohn bestünde, die Arbeiter möchten die Waffen zu einer regierungsfeindlichen Demonstration benutzen.
Diesen Bescheid warf Balde in seinen Papierkorb. Dorthin beförderte er auch die unsinnigen Depeschen, die ihm zur Veröffentlichung überbracht wurden. Die eine besagte, es seien vierzigtausend Preußen in die Steinbrüche von Jaumont gestürzt und dort umgekommen, die andere erzählte geheimnisvoll von drei Särgen, die man durchs Gebirge hatte tragen sehen, geschmückt mit den preußischen Königszeichen, von großem Gefolge begleitet.
Zu diesen »Veröffentlichungen«, die im Papierkorbe des Maire ihren Daseinszweck verfehlten, kam Ende August eine wichtigere und bedenklichere, über die Martin Balde erregt mit seiner Frau beriet« Es war ein »Mahnruf« des deutschen Generals von Beyer an die Bewohner des Elsaß, in zwei Sprachen angefertigt. Dis Präfektur in Kolmar fügte demfeindlichen Schriftstück eine Nachschrift hinzu, man möge mit der Veröffentlichung noch zwei Tage warten und sie unterlassen, falls in dieser Zeit eine für Frankreich günstige Wendung eingetreten sei. Der Aufruf selbst war knapp gefaßt. Er warnte in ernstem, fast väterlichem Ton die Bürgerschaft vor Feindseligkeiten gegen die Soldaten und wies auf die Folgen derartiger Handlungen hin. Zum Schlusse hieß es: »Ich befehle, daß diese Mahnung an die Rathäuser aller Städte und Dörfer angeheftet wird.«
Balde war das Blut ins Gesicht gestiegen. »Ein badischer General gibt uns Befehle! Und le croirait-on – dem ersten Mann des Departements, dem Präfekten, fällt gleich das Herz in die Hosen.«
Seine Frau las still die Proklamation. Am Fenster des Studierzimmers stehend, hob sich ihr Kopf streng und rein vom Hintergrund der Büsche ab. »Oh non!« Ihre Augen flammten. Sie richtete sich höher auf. »Oh non!« wiederholte sie mit aller Kraft. »Wir Frauen protestieren,« sagte sie auf französisch und fuhr dann ebenso fort mit tönender, bebender Stimme: »Wir protestieren gegen dieses uns unverständliche Recht des Säbels, das uns verbieten will, unsere Erde, unsere foyers zu verteidigen, nur weil wir nicht das Kleid der militärischen Konvention tragen.« Sie zerriß das Dekret in tausend kleine Stücke.
Balde sah ihr zu. Ihr Zorn hatte ihn beruhigt. »Ordnung muß ja sein,« sagte er, sich selber zügelnd, »und man wird schon dafür sorgen. Aber aus eigenem Pflichtgefühl: nicht auf Befehl!« Es lag dabei ein bäuerlicher Trotz in seinem Ton.
Frau Balde hob den Kopf. Sie sah ihren Mann mit einem seltsamen Blick an. »Wie ihr immer Schranken ziehen könnt zwischen Recht und Unrecht,« sagte sie dann
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