Die Verborgene Schrift
gekommen, dafür langte französische Einquartierung an. Ein Jägerregiment, leichtfüßig und fröhlich mit heiteren clairons . Sie lachten und sangen. Alle Thurwiller traten vor die Türen, um zu sehen. Man war außer sich vor Vergnügen. Jeder freute sich, der einen der lustigen, hübschen Schnauzbärte ins Haus bekam. Bald roch das ganze Städtchen nach Speckomelette und Wein. Aber die Leutchen hatten kein Geld zu bezahlen. So gab man ihnen denn umsonst. Es schmeckte ihnen herrlich, sie waren so dankbar. Und der Sold sowie die Proviantwagen mußten ja sogleich nachkommen. Man wartete geduldig. Einen Tag, zwei – aber sie kamen nicht. Die Thurwiller ließen ihre armen Schelme von Soldaten nicht entgelten. Das Salmele dachte an ihren Ventzenker, und wahrend drinnen im Eßzimmer die Offiziere mit der Herrschaft tafelten, strich sie dem brosseur die Marmelade noch einmal so dick aufs Brot, in der Hoffnung,der Lohn für ihre gute Tat werde ihrem Fernen im fremden Lande zugute kommen. Auch die kriegerischen Gäste in den Herrschaftszimmern hatten es vortrefflich. Frau Baldes Gang und Gesicht war deutlich belebt, seit sie mit ihren Landsleuten französisch plaudern konnte. Auch Hortense ließ sich gern von ihnen erzählen, fragte sie nach dem Biwakleben aus, nach den Quartieren, und zeigte sich ihnen, die nur Angenehmes zu berichten wußten, liebenswürdig dankbar. Selbst Balde war empfänglich für die heiteren Gäste, wenn er von verdrießlichen Arbeitsstunden nach Hause kam. Einzig Françoise hielt sich zurück. Sie tat hausfraulich ihre Pflicht, nahm aber an den Unterhaltungen nicht teil. Die Prahlereien und Witze der jungen Leute, die alle ihre Spitzen gegen »ces pauvres Prussiens« richteten, vertrieben sie.
Sie lernte jetzt pflegen und verbinden beim Vater. Sie wollte Verwundete pflegen.
Inzwischen gingen die Umtriebe für die Wahlen immer weiter. Mitte August endlich fiel die Entscheidung. Die Listen des Curé hatten fast überall gesiegt. Auch Cerf war als Kandidat aufgestellt gewesen, aber er war nicht zurückgekehrt nach Basel. Die Zeitungen druckten einen Brief von ihm ab:
Während unsere Soldaten auf den Schlachtfeldern für die Ehre Frankreichs kämpfen, tun wir es im Innern des Vaterlandes. Denn es handelt sich bei der Vertretung unseres Kreises nicht um Straßenpflaster oder neue Trinkbrunnen, nein, es handelt sich um unsere heilige Religion selbst. Weg mit dem Einfluß der Freimaurer und Protestanten, die uns obligatorische Schulen aufzwingen wollen mit einer heidnischen Freiheit des Lehrmaterials. Marschieren wir, die wir in treugläubigem Herzen den Sieg vorbereitet haben, marschieren wir ihm fest und einig entgegen, Hand in Hand.«
Aber Monsieur Cerfs Phrasen machten nicht sehr viel Eindruck. Man war im Augenblick nicht gut zu sprechen auf die »Plebisziter«, die dem Volke ihr »Ja« für Napoleon abgelistet und es dadurch in diesen Krieg hineingeführt hatten, der viel mehr Unbequemlichkeiten und Sorgen mit sich brachte, als man sichvorgestellt hätte. Denn immer wieder hörte man von Niederlagen. Nichts ganz Bestimmtes – die Zeitungen kamen unregelmäßig – aber man erfuhr doch allmählich von Fröschweiler, von Forbach, man hörte, daß Metz angegriffen wurde, daß Nancy sich an vier Ulanen ergeben hatte. Und das Allerschmerzlichste: Straßburg wurde beschossen! Die Eisenbahnlinie von Mülhausen nach Paris war abgeschnitten. Man kam sich vor wie im Exil.
Balde richtete eine Art Heimatsverteidigung ein, hauptsächlich zur Aufrechterhaltung der Ordnung, wenn wirklich einmal feindliche Truppen hier in seinen Winkel kommen sollten. Damit gab er auch den noch immer erregten Arbeitern, von denen mehrere entlassen und nun beschäftigungslos waren, eine Ablenkung. Die Leute sollten der Kompagnie der Franctireurs angegliedert werden, die auch versprochen hatte, für die Bewaffnung zu sorgen. Vorerst übte man mit Stöcken.
Die Jäger waren abgezogen, und neue Einquartierung kam. Aber die Todmüden und Finsteren, die da hereinschlurrten, abgehungert, entnervt, zerlumpt, das waren nicht mehr die lieben lustigen »piou-pious« der ersten Zeit. Ihre Tornister, die ihnen beim eiligen Rückzug zu schwer geworden waren, hatten sie abgeworfen. Viele auch die Waffen. Den Feind hatten sie noch nicht gesehen, aber immer hatte es geheißen: zurück, zurück. Sie schimpften auf Napoleon, auf die Generale, die sie verraten hätten, verkauft an Preußen. Und sie bettelten. Ihre Proviantwagen, die nachkommen
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