Die Verborgene Schrift
wollt Ihr von mir?« fragte er barsch. Er griff in seine Tasche.
Der Strolch hatte sich auf seinen Baumstumpf gesetzt. »Laßt's nur im Sack, Euer Geld, jeune homme , i begehr's heut net.«
»Und was sonst?«
»Was i begehr', monsieur ?« Der düstere Kerl, der jetzt auf einmal jung aussah, erhob sich. »In d'r Krieg will i, voilà .«
Er hatte seinen Arm gestreckt und das Wort wie eine Brücke hinübergeworfen zu dem Abgewendeten. Der blieb denn auch willig wieder stehen. Der Strolch wies auf ein Bündel, das er neben seinen Baumstumpf gelegt hatte. Er bückte sich und tat es auseinander. Ein bunter Haufen kam zum Vorschein: Bauernhosen, Schuhe, Mäntel, ein paar Filzhüte, Reiterpistolen, Degen, Gewehre und Säbel. »Alles z'samme g'schtohle,« sagte er frech. »D' Flinte do, die sin vo d'r Bühn' vom Herr Maire. Es het do no meh, awer's isch nix meh mit, d'r Roscht het se g'fresse.« Er hatte eine verbogene Pistole hervorgezogen und legte den Finger an den Drücker.
Victor Hugo zwang sich stehenzubleiben. Aber das Blut sang ihm in den Ohren. Der Strolch nickte zufrieden. Er steckte die Waffe wieder ins Bündel. »Euer Babbe,« sagte er dann ruhig, »d'r Monsieur Schlotterbach, hat letscht in sim Garte allerhand so Dings vergrawe, 's kann sin, au Geld. Sorgt d'rfür, jeune homme , daß hit nacht d'r Hund net bellt. Gell? M'r könne net länger warte, jetz, 's ischt Zitt.«
Victor Hugo hatte schon den Ellbogen gehoben, dem Versucher einen tüchtigen Jungenspuff zu geben und dann davonzulaufen, da hielt ihn die Neugier noch einmal fest. »Mir – han ihr g'sait. Wer sin jetz d' andere?«
Der Strolch machte eine vielsagende Bewegung nach der Richtung des Kirchplatzes hin, hinter dem die Mauer der Maison Centrale sichtbar wurde. »I bruch nur z' pfiffe, d'rno sin se do.«
»Die do drinne?« Dem Patriziersohn lief ein Ekel über den Rücken. »Un wohin soll's gehn?« fragt er jetzt hochmütig, beide Hände in den Taschen. Er hatte keine Furcht mehr.
Der Strolch schwieg. Plötzlich hob er die Faust. »Krieg wider die, wo im Floribüs lewe un 's Geld han!«
Victor Hugo trat einen Schritt zurück. Er wußte, was der andere meinte. Eine jener wilden Banden wollte er zusammenbringen, die sich gleichfalls Franctireurs nannten, den Bauer und Bürger aber meist mehr schädigten als den Landesfeind, der ihnen den Vorwand geben mußte zu ihrem Rauben und Sengen. Und die Zuchthäusler sollten helfen? Wollte der Strolch sie befreien? Einen Aufstand anzetteln? Klare Pflicht war es, diesen Menschen festzunehmen, ihn zum Gendarmen zu bringen, ihn wieder einzusperren.
Mit Entzücken fühlte der Knabe, wie ein toller, rücksichtsloser Mut in ihm aufflammte. Mit dem Fuß stieß er in das offene Bündel hinein, daß Kleider und Waffen auseinanderstoben, dann trat er einen Schritt zurück, um sich mit aller Gewalt auf den gefährlichen Landstreicher zu stürzen. Da traf ihn von unten heraus ein Blick des schmierigen Burschen.
Victor Hugo machte eine sonderbare Bewegung mit der umgewendeten Hand nach seinem Arm hin. Etwas Blendendes und Brennendes, das ihn verwirrte, war auf ihn zugeschleudert worden aus den tiefliegenden Augen dieses zerlumpten Menschen. Von einer seltsamen Angst befallen, lief er, fiel er, raffte sich, immer wie in der Flucht vor etwas unaussprechlich Unheimlichem, wieder auf, lief weiter und wußte nicht, wovor er floh. Was er fühlte, war Bewunderung, Verachtung, Neid und Grauen, alles durcheinander.
Als er aber dann die Mauer des Château Schlotterbach wiedersah, war ihm das wie ein Asyl. Er atmete auf, säuberte geschwind Gesicht und Anzug mit seinem Taschentuche, strich sein Haar glatt und begab sich mit einem Seufzer derErleichterung in die Gewohnheit zurück. Er hatte nun nichts mehr gegen die Reise nach Basel einzuwenden. Seinen Vater bat er an demselben Abend noch, seine Waffen und sein Geld sicherer zu bergen als in der Gartenerde, wo jeder Dieb es entdecken könne. Die Eltern waren entzückt über seine Umsicht. Verraten aber tat er seinen Strolch nicht.
Bevor er sich von Vater und Mutter trennte, mußte er ihnen mit einem heiligen Schwur versprechen, sich niemals in die Liste der Franctireurs einschreiben zu lassen. Er tat es, aber er reiste mit zerrissenem Herzen ab. Eine Sehnsucht nach Leid und Gefahr war in ihm geblieben, die ihn quälte und ihm die Sicherheit des Tages verleidete. Er kam sich feige vor, unwürdig und beschämt. Das Bild des Strolches wuchs immer größer in ihm auf mit einem
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