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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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und ver krusteten Bisswunden übersät waren.
    Noch einmal fragte sie den alten Mann nach einem Glas.
    Da legte Hanna ihr eine Hand auf die Schulter. »Er kann dich nicht hören, Julia. Dein Großvater ist fast taub. Hat Pa dir das nicht er zählt?« Sie öffnete einen der Hängeschränke und reichte Julia ein sauberes Marmeladenglas ohne Deckel. Irritiert sah Julia ihre Mut ter an.
    Hanna zuckte mit den Achseln. »Hier ist einiges anders, als du es erwartet hast. Nimm es, wie es ist. In ein paar Tagen sind wir wieder weg.«
    Der Großvater hatte Tommy fertig gefüttert und der Junge glitt vom Stuhl. Unerwartet flink robbte er mit seinen verkrüppelten Bei nen über den abgewetzten Linoleumboden ins Wohnzimmer. Dort bekam er eine neue Windel, dann brachte ihn der alte Mann wieder nach draußen in seinen Pick-up, der offensichtlich Tommys Lieb lingsplatz war.
    Nachdem sich ihr Monster-Cousin nicht mehr in der Nähe aufhielt, entspannte Julia sich ein wenig. Sie ging ins Wohnzimmer, das mit dunklen Holzmöbeln bestückt war, die mindestens schon hundert Jahre auf dem Buckel hatten. Eine Kommode, eine Anrichte und ein wuchtiger Schrank. Die übrige Einrichtung bestand aus einer durch gesessenen Couch, zwei speckigen Sesseln, einem niedrigen Tisch und einem Fernseher. Die Vorhänge an den Fenstern waren zer schlissen vom Alter und starrten vor Schmutz. Auf dem durchgetre tenen Teppich lagen Zeitungsstapel und Kleidungsstücke. Es roch muffig, als wäre wochenlang nicht gelüftet worden.
    Doch da hingen diese Fotos an den Wänden, die Julia magisch an zogen und die sie sich der Reihe nach genau ansah. Die sepiafarbe nen zuerst: Männer und Frauen in altmodischer Kleidung, mit stoischen Gesichtern. Vermutlich waren das ihre Vorfahren, die stumm auf sie herabsahen.
    Julia betrachtete das Hochzeitsfoto ihrer Großeltern und staunte, wie gut der alte Mann einmal ausgesehen hatte. Adas Gesicht hatte etwas Hartes, aber wenn sie lachte, strahlten ihre Augen voller Wär me.
    Schließlich die schwarz-weißen Fotos: Ihre Großmutter Ada zu sammen mit Robert Redford. Ein anderes mit dem Dalai-Lama. Wow . Ihr Vater hatte also keine Märchen erzählt. Granny Ada war ei ne Frau, die ziemlich herumkam in der Welt.
    Auf den anderen, den bunten Fotos, das mussten weitere Fami lienmitglieder sein. Julia erkannte ihren Vater. Eines zeigte ihn mit seiner ersten Frau Veola und zwei kleinen, dunkelhäutigen Kindern, einem Mädchen und einem Jungen. Jason und Tracy, ihre Halbgeschwister.
    Ein Foto jüngeren Datums zeigte John und Jason. Es musste vor drei oder vier Jahren aufgenommen worden sein, als Jason ungefähr in ihrem jetzigen Alter war. Vater und Sohn standen Seite an Seite, berührten einander aber nicht. Jason blickte grimmig drein und nun wusste Julia ganz sicher, was sie schon die ganze Zeit vermutet hat te: Der Junge in Sams Laden war ihr Halbbruder Jason gewesen.
    Es gab auch ein Foto von ihr selbst, zusammen mit ihrem Vater. Ju lia erinnerte sich noch an den Tag, als es aufgenommen worden war. Damals war sie dreizehn gewesen, hatte mit Babyspeck und Pi ckeln zu kämpfen gehabt und diese verhasste Zahnspange getra gen. Ihr Vater strahlte dennoch voller Stolz. Er stand hinter ihr und hatte beide Arme um sie gelegt. Es war in Italien aufgenommen, während sie zu dritt Urlaub am Meer gemacht hatten.
    Das war Erinnerung, war Vergangenheit. Julia kämpfte gegen die Tränen, die in ihr aufstiegen. Alles, was mit ihrem Vater zu tun hat te, würde von nun an Vergangenheit sein. Etwas Abgeschlossenes ohne Zukunft.
    Mit dem Handrücken wischte sie die Tränen fort, als sie hörte, dass draußen auf dem Vorplatz ein Auto hielt. Kurz darauf stand ih re Großmutter in der Küche, bepackt mit Einkaufstüten. Ada war kleiner, als Julia sie sich vorgestellt hatte. Ihr widerspenstiges grau es Haar hatte sie kurz geschnitten, was zu ihrem ledrigen Gesicht passte. Es war ein hartes Gesicht mit klaren braunen Augen und tie fen Falten um den breiten Mund.
    Während Ada Hanna die Hand schüttelte und sie willkommen hieß, beobachtete Julia die alte Frau sehr genau. Es war ein frostiges Willkommen, das sah Julia an der Körperhaltung ihrer Großmutter, die Ablehnung und Misstrauen ausdrückte. Trotzdem gab sie sich einen Ruck und ging auf sie zu. »Hi, Grandma«, sagte sie. »Ich bin Julia.«
    Völlig unerwartet riss Ada sie in ihre Arme und Julia war verblüfft darüber, wie kräftig ihre Granny war. Ein tiefer Seufzer kam aus der Brust der alten Frau.

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