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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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den Draht aus der äußeren Verankerung – einem verbogenen Nagel – zu lö sen. Schließlich gelang es Julia, ohne dabei ihre Mutter zu wecken. Einen Augenblick verharrte sie auf den Holzstufen vor der Tür und versuchte, die Umgebung zu erkennen. Ein großer runder Mond stand über den Bergen und verwandelte die Landschaft in Täler aus Licht und Schatten. Es war sehr still, beinahe unheimlich still. Ein kühler Luftzug streifte sie. Fröstelnd rieb sie sich die nackten Arme.
    Dann stieg sie nach unten, um sich ein Plätzchen im Gras zu suchen, ein Stück weg vom Eingang.
    Vorsorglich leuchtete sie den Boden ab. Bestimmt gab es hier jede Menge Schlangen. Ihr Vater hatte erzählt, dass er als Kind von einer Klapperschlange gebissen worden war. Das war keine Erfahrung, die sie wiederholen wollte.
    Julia fand eine geeignete Stelle und pinkelte ins Gras. Auf dem Weg zurück zum Eingang hörte sie ein Geräusch und zuckte zusammen. Es hatte wie ein ersticktes Knurren geklungen, war aber doch sehr deutlich zu hören gewesen. Sie nahm ihren Mut zusammen, ließ den Strahl der Taschenlampe noch einmal durch die Nacht gleiten, und leuchtete plötzlich in ein Gesicht. Hinter einem halb zerfallenen Zaun, verdeckt von Sträuchern, stand jemand und beobachtete sie.
    Julia stieß einen Schrei aus und ließ vor Schreck die Taschenlampe fallen. Ein Hund begann zu bellen. Voller Panik machte sie kehrt, stolperte über ein herumliegendes Brett und schlug mit dem rech ten Knie auf die Stufen vor dem Eingang. »Au, verflucht«, schimpfte sie und hielt sich das Bein. Die Tür des Trailers ging auf und Hanna erschien im Nachthemd, eine von Adas großen Taschenlampen in der Hand.
    »Was ist denn los, Julia? Was schreist du hier herum wie eine Ver rückte? Und was machst du überhaupt da draußen, mitten in der Nacht?«
    Julia rappelte sich auf und schlüpfte an ihrer Mutter vorbei in den Trailer. »Da war jemand«, sagte sie, als Hanna die Tür wieder ver schloss. Sie hockte sich in den Sessel und wartete, dass der Schmerz nachließ.
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«
    »Ich bin raus, weil ich mal musste. Da hab ich ihn hinter den Sträu chern stehen sehen.«
    »Vielleicht hast du dich geirrt – bei all dem Kram, der da draußen herumsteht.«
    »Ich habe doch keine Halluzinationen«, protestierte Julia entrüs tet. »Da war jemand.«
    »Könnte es Boyd gewesen sein?«, fragte Hanna, die versuchte, den Draht wieder festzuklemmen, damit die Tür zublieb. »Ada sagt, er schläft schlecht.«
    »Nein. Es war definitiv nicht Grandpa«, bemerkte Julia. »Er war jün ger, nicht viel älter als ich.«
    Hanna richtete den Lichtstrahl der Taschenlampe auf Julias Bein. »Hast du dich verletzt?«
    »Das Knie blutet.«
    »Ich hole dir ein Pflaster.«
    Ob es Jason gewesen war? Julia erinnerte sich an den finsteren Ausdruck in den Augen ihres Halbbruders in Sams Laden. Vermut lich hatte er an der Tankstelle nur einen Blick auf den Leihwagen werfen müssen, um sich zusammenzureimen, wer die beiden Frem den waren.
    Hanna kümmerte sich um Julias Knie und anschließend gingen beide zurück in ihre Betten. Der helle Mond schien zum kleinen Fenster in Julias Zimmer herein und beleuchtete die Steine auf dem Schränkchen. Einer von ihnen glimmerte leicht im fahlen Licht.
    Es dauerte noch lange, bis Julia wieder einschlafen konnte.
    Simon hatte sie seit ihrer Ankunft beobachtet. Die rothaarige deut sche Frau und das Mädchen. Julia, die Enkeltochter der beiden Al ten. Unbemerkt war er Zeuge ihrer ersten Begegnung mit Tommy geworden. Hatte den Ausdruck angstvollen Schreckens in Julias Ge sicht gesehen und gespürt, wie verstört sie war. Aber das machte er ihr nicht zum Vorwurf. Jeder, der Tommy unvorbereitet sah, er schrak.
    Mutter und Tochter hatten den Abend im Ranchhaus verbracht und Simon hatte es vorgezogen, sich nicht blicken zu lassen. Das tat er meistens, wenn Gäste da waren. Sich unsichtbar zu machen, fiel ihm nicht schwer, das Gelände der Ranch war groß genug. Auf diese Weise konnte er die Möglichkeit umgehen, angesprochen zu werden und sich lächerlich zu machen. Ada und Boyd hatten das stillschweigend akzeptiert.
    Später waren Julia und ihre Mutter in den Trailer schlafen gegan gen. Simon hatte sich Mühe gegeben, alles so herzurichten, dass man es einigermaßen gut aushalten konnte. Er hatte Mäusedreck entfernt und vertrocknete Grillen vom vergangenen Jahr. Hatte den Boden gefegt, die Möbel geschrubbt und die Betten bezogen. Sogar drei

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