Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
um meine Handgelenke und arbeitete sich langsam in Richtung Finger vor.
»Weißt du«, begann Elizabeth, »mit sechs Jahren hatte ich gelernt, dass ich meine Mutter nur aus dem Bett holen konnte, wenn ich mich danebenbenahm. Also habe ich mich schrecklich aufgeführt, nur damit sie aufstand, um mich zu bestrafen. Als ich zehn war, hatte sie genug davon und steckte mich in ein Internat. Dir wird das nicht passieren. Du kannst nichts tun, was mich dazu bringen würde, dich wegzuschicken. Überhaupt nichts. Stell mich ruhig auf die Probe, indem du das Silber meiner Mutter durch die Küche wirfst, wenn es unbedingt sein muss. Doch meine Reaktion wird immer gleich ausfallen: Ich werde dich lieben und behalten. Einverstanden?«
Ich starrte Elizabeth an. Mein Körper war vor Argwohn steif wie ein Brett, und im dampfigen Badezimmer verschlug es mir den Atem. Ich verstand sie nicht. Sie hatte die Schultern angespannt, ihre Sprache war knapp und präzise, und sie hatte eine förmliche Ausdrucksweise, wie ich ihr noch nie begegnet war. Und dennoch schwang in Elizabeths Worten eine unerklärliche Sanftheit mit. Auch ihre Berührung war anders; als sie meine Hände reinigte, geschah das nicht mit der schicksalsergebenen Leidensmiene, die ich bei all meinen anderen Pflegemüttern erlebt hatte. Ich traute der Sache nicht.
Das Schweigen zwischen uns wurde länger. Elizabeth schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr, sah mir tief in die Augen und wartete auf eine Antwort.
»Okay«, sagte ich schließlich, weil das, wie ich wusste, der schnellste Weg war, das Gespräch zu beenden und der Hitze des kleinen Badezimmers zu entrinnen.
Elizabeths Mundwinkel bogen sich nach oben. »Dann komm«, sagte sie. »Es ist Sonntag. Am Sonntag gehen wir auf den Bauernmarkt.«
Sie drehte mich herum und führte mich zurück in mein Zimmer, wo sie meine in Gaze gehüllten Hände aus dem Nachthemd befreite und in ein weißes, gesmoktes Sommerkleid schob. In der Küche machte sie mir Rührei und fütterte mich mit kleinen Bissen auf einem Löffel, der genauso aussah wie der, den ich am Vorabend durch den Raum geworfen hatte. Ich kaute und schluckte nach Anweisung, während ich noch immer versuchte, Elizabeths Wechsel im Tonfall und ihr unberechenbares Verhalten miteinander in Einklang zu bringen. Während des Frühstücks sagte sie kein Wort, sondern beobachtete nur den Weg der Eier vom Löffel in meinen Mund und die Kehle hinunter. Nachdem sie mich gefüttert hatte, aß sie selbst eine kleine Portion Rührei, spülte das Geschirr, trocknete es ab und räumte es weg.
»Bist du bereit?«, fragte sie.
Ich zuckte die Achseln.
Draußen überquerten wir den mit Kies bestreuten Platz, wo sie mir in ihren alten grauen Pick-up half. Der blaue Plastikbezug löste sich von den gepaspelten Kanten, und es gab keine Sicherheitsgurte. Der Wagen rumpelte die Auffahrt entlang, während Staub, Wind und Abgase ins Führerhaus wehten. Keine Minute später bog Elizabeth in einen Parkplatz ein. Als ich mit Meredith hier vorbeigekommen war, war er leer gewesen. Nun drängten sich Pick-ups und Obststände, und Familien schlenderten auf den schmalen Wegen hin und her.
Elizabeth marschierte von Stand zu Stand, als wäre ich nicht vorhanden, und bezahlte in bar für schwere Tüten voller Obst und Gemüse: rosafarben und weiß gestreifte Bohnen, hellbraune Kürbisse mit langen Hälsen und violette, gelbe und rote Tomaten. Während sie damit beschäftigt war, eine Tüte Nektarinen zu kaufen, schnappte ich mir mit den Zähnen eine grüne Traube von einem überquellenden Tisch.
»Bitte!«, rief ein kleiner, bärtiger Mann aus, den ich nicht bemerkt hatte. »Probier nur! Sie sind köstlich und absolut reif.« Er riss ein Büschel Trauben ab und legte es in meine verbundenen Hände.
»Bedank dich«, forderte Elizabeth mich auf, aber ich hatte den Mund voller Trauben.
Elizabeth erstand anderthalb Kilo Trauben, sechs Nektarinen und eine Tüte getrocknete Aprikosen. Dann setzten wir uns zusammen auf eine Bank mit Blick auf ein längliches, mit Gras bewachsenes Feld. Elizabeth hielt mir eine gelbe Pflaume ein paar Zentimeter vor die Lippen. Ich beugte mich vor und aß sie ihr aus der Hand, so dass mir der Saft übers Kinn und aufs Kleid tropfte.
Als nur noch der Kern übrig war, warf Elizabeth ihn ins Feld und blickte zum anderen Ende des Marktes hinüber. »Siehst du den Blumenstand da drüben, den letzten in der Reihe?«, fragte sie mich.
Ich nickte. Auf der offenen
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