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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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drang durch die Ritze. Natalya hatte recht: Das Zimmer war buchstäblich ein Wandschrank.
    »Meine letzte Mitbewohnerin litt an paranoider Schizophrenie«, erklärte Natalya und wies auf die Riegel. »Diese Tür führt in mein Zimmer. Das sind die Schlüssel zu allen Schlössern.« Sie wies auf den Schlüsselring in meiner Hand.
    »Ich nehme es«, sagte ich, streckte die Hand ins Wohnzimmer und legte zwei Hundertdollarscheine auf die Armlehne des Sofas. Dann zog ich die kleine Tür zu, schloss ab und legte mich mitten hinein ins Blau.

11.
    B ei Elizabeth wirkte der Himmel auf mich weiter. Er erstreckte sich von einer niedrigen Horizontlinie zur anderen. Sein Blau ging in die staubigen Hügel über und ließ das Gelb des Sommers matter aussehen. Der Himmel spiegelte sich im Wellblechdach des Gartenschuppens, in den abgerundeten Seiten des Wohnwagens und in den Pupillen von Elizabeths Augen. Die Farbe war so unentrinnbar und drückend wie Elizabeths Schweigen.
    Ich saß in einem Liegestuhl auf einem Gartenweg und wartete darauf, dass Elizabeth aus der Küche zurückkehrte. An diesem Morgen hatte sie Pfannkuchen mit Pfirsichen und Bananen gemacht, und ich hatte mich vollgestopft, bis ich bewegungsunfähig über dem Küchentisch zusammengesackt war. Doch anstatt mich wie sonst mit Fragen zu überhäufen, von denen ich manche sogar beantwortete, war Elizabeth beklemmend still gewesen. Sie hatte in ihrem Essen herumgestochert, nur die gebratenen Pfirsiche herausgezupft und den Rest des Pfannkuchens in einem See aus Ahornsirup liegengelassen.
    Ich schloss die Augen und lauschte dem Quietschen des Stuhls, als sie ihn zurückschob, ihren Schritten auf dem Holzboden und dem Klappern des Geschirrs in der Spüle. Aber anstelle des Plätscherns von Wasser, das sonst darauf folgte, hörte ich das Surren einer Wählscheibe. Als ich aufsah, lehnte Elizabeth am Küchenschrank und hielt einen altmodischen Telefonhörer in der Hand. Sie zwirbelte an dem spiralförmigen Kabel herum, das den Hörer mit dem Gerät verband, und starrte auf die Wählscheibe, als hätte sie die Nummer vergessen. Nach einer Weile betätigte sie sie wieder. Nach der sechsten Ziffer hielt sie inne, verzog den Mund und legte mit einer heftigen Bewegung auf. Das Knallen des Hörers auf die Gabel erschütterte meinen übervollen Magen. Ich stöhnte auf.
    Elizabeth fuhr zusammen, und als sie sich umdrehte, schien sie überrascht, mich dort sitzen zu sehen. Offenbar hatte sie sich so sehr auf das Telefonat, das sie nicht führen konnte, konzentriert, dass sie mich ganz vergessen hatte. Mit einem Aufseufzer zog sie mich vom Küchenstuhl hoch und schob mich in den Garten, wo ich nun auf sie wartete.
    Schließlich trat sie, eine schlammige Schaufel und eine dampfende Tasse in der Hand, aus der Hintertür.
    »Trink das«, sagte sie und reichte mir die Tasse. »Das ist gut für die Verdauung.«
    Ich hielt die Tasse zwischen den in Gaze gewickelten Händen. Obwohl es schon eine Woche her war, dass Elizabeth meine Stichwunden gereinigt und verbunden hatte, genoss ich die durch die Verbände erzwungene Hilflosigkeit. Elizabeth kochte und putzte, während ich den ganzen Tag untätig herumlag. Wenn sie mich fragte, wie meine Hände heilten, erwiderte ich, sie seien schlimmer geworden.
    Ich pustete in den Tee, nahm vorsichtig einen Schluck und spuckte ihn aus.
    »Er schmeckt mir nicht«, protestierte ich und kippte die Tasse nach vorne, so dass sich die Flüssigkeit vor meinem Liegestuhl auf den Gartenweg ergoss.
    »Versuch es noch einmal«, antwortete Elizabeth. »Du wirst dich daran gewöhnen. Pfefferminzblüten stehen für warme Gefühle.«
    Ich trank noch einmal. Diesmal behielt ich den Tee ein bisschen länger im Mund, bevor ich ihn über die Armlehne spuckte. »Du meinst wohl warmes Igitt.«
    »Nein, warme Gefühle«, verbesserte mich Elizabeth. »Du weißt schon, das Prickeln, das man empfindet, wenn man einen Menschen sieht, den man mag.«
    Dieses Gefühl kannte ich nicht. »Warme Kotze«, beharrte ich.
    »Die Sprache der Blumen ist nicht verhandelbar, Victoria«, sagte Elizabeth, wandte sich ab und zog ihre Gartenhandschuhe an. Dann nahm sie die Schaufel und bearbeitete die Erde an der Stelle, wo ich auf meiner Suche nach dem Löffel ein Dutzend Pflanzen entwurzelt hatte.
    »Was heißt nicht verhandelbar?«, fragte ich. Ich trank von dem Pfefferminztee, schluckte, verzog das Gesicht und wartete darauf, dass mein Magen sich wieder beruhigte.
    »Dass es für jede Blume

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