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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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die stumpfe Klinge auf ihren Unterleib wies.
    Sie streckte die Hand aus, prüfte die Klinge mit dem weichen Finger, kam dann einen Schritt näher und nahm das Messer beim Griff.
    »Wo?«, fragte sie leise. Ich deutete auf eine Stelle dicht oberhalb des braunen Stamms, wo ein langer grüner Arm begann. Perla drückte die Klinge an den Kaktus und schloss die Augen, bevor sie sich mit ihrem ganzen Körpergewicht dagegenstemmte. Die Rinde war zwar hart, doch nachdem sie die äußere Schicht durchtrennt hatte, drang das Messer mühelos ein, und der Ast fiel herunter. Als ich auf die Früchte zeigte, sägte Perla jede einzelne ab. Sie lagen auf dem Boden. Roter Saft sickerte heraus.
    »Warte hier«, wies ich sie an und rannte durch den Garten zurück zu der Stelle, wo ich die schmutzige Gaze weggeworfen hatte.
    Bei meiner Rückkehr hatte Perla sich nicht von der Stelle gerührt. Ich hielt die Früchte mit der Gaze fest, griff nach dem Messer und entfernte vorsichtig die Stacheln von den Kaktusfeigen, als würde ich ein totes Tier häuten. Dann streckte ich Perla die reifen, essbaren Früchte entgegen.
    »Hier«, sagte ich. Sie musterte mich verdattert.
    »Ich dachte, du wolltest sie haben«, wunderte sie sich. »Für Elizabeth.«
    »Dann bring du sie ihr, wenn du möchtest«, entgegnete ich. »Ich brauche nur das hier.« Ich wickelte die mit Stacheln besetzten Streifen Schale in die Gaze.
    »Jetzt geh nach Hause«, meinte ich.
    Beide Hände um die Früchte geschlossen, trollte Perla sich langsamen Schrittes. Dabei seufzte sie, als hätte sie sich für ihre Treue mehr von mir erwartet.
    Ich hatte ihr nichts zu geben.

12.
    N atalya war Renatas jüngste Schwester. Insgesamt waren sie zu sechst, alles Mädchen. Renata war die Zweitälteste, Natalya die Jüngste. Ich brauchte eine Woche, um das zu erfahren, wofür ich dankbar war. Meistens schlief Natalya bis in den späten Nachmittag hinein, und wenn sie wach war, redete sie nicht viel. Einmal meinte sie, sie wolle ihre Stimme nicht vergeuden. Dass sie ein Gespräch mit mir als Stimmverschwendung einstufte, störte mich nicht.
    Natalya war Sängerin in einer Punkband, die es – wie sie sagte – nur in einem Umkreis von zwanzig Häuserblocks rings um die Wohnung zu etwas gebracht hatte. Sie hatten viele Anhänger im Mission District und ein paar Fans in der Gegend von Dolores Park, waren jedoch in den übrigen Stadtvierteln, ganz zu schweigen von anderen Städten, völlig unbekannt. Die Band probte im Erdgeschoss. Der restliche Häuserblock bestand nur aus Bürogebäuden, einige vermietet, andere leer stehend. Jedenfalls schlossen alle um fünf. Natalya überreichte mir eine Schachtel Ohrstöpsel und einen Haufen Kissen, mit deren Hilfe ich die Lautstärke der Musik auf die Klangvibrationen im Teppich senken konnte, der sich dadurch noch lebendiger anfühlte. Da die Proben meistens erst nach Mitternacht begannen, blieben mir vor dem Aufstehen nur wenige Stunden, um einigermaßen ungestört zu schlafen.
    Obwohl ich erst am folgenden Samstag wieder arbeiten würde, ging ich in dieser Woche jeden Morgen zu Fuß durch die Straßen zum Blumenmarkt und beobachtete, wie die Großhändler überladene Laster rückwärts in den belebten Parkplatz rangierten. Ich hielt nicht Ausschau nach dem geheimnisvollen Blumenhändler; wenigstens sagte ich mir das. Wenn ich ihn sah, schlüpfte ich in eine Seitengasse und rannte, bis ich außer Atem war.
    Als es Samstag wurde, hatte ich mich für eine Antwort entschieden. Löwenmaul.
Anmaßung
. Um vier, eine Stunde vor Renata, traf ich am Blumenmarkt ein. Ich war mit einem Fünfdollarschein bewaffnet und hatte eine neue, senfgelbe Strickmütze tief in die Stirn gezogen.
    Der Blumenhändler beugte sich gerade vor, um Bündel von Lilien, Rosen und Ranunkeln in weißen Plastikeimern zu verstauen, und sah mich deshalb nicht kommen. Ich nützte die Zeit, um ihm die unverhohlene Musterung meines Körpers bei unserer ersten Begegnung heimzuzahlen, und betrachtete ihn vom Nacken bis hinunter zu den schlammigen Arbeitsstiefeln. Er trug dasselbe schwarze Kapuzensweatshirt wie am ersten Tag, nur dass es inzwischen schmutziger war, und dazu eine fleckige weiße Arbeitshose. Es war eine mit einer Schlaufe, um einen Hammer darin einzuhaken, doch die Schlaufe war leer. Als er sich aufrichtete, stand ich vor ihm. Meine Arme quollen über vor Löwenmäulchen. Ich hatte fünf Dollar für die Blumen ausgegeben und zum Großhandelspreis sechs gemischte Sträuße in

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