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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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unter.
     
    Grant saß hinter dem Haus an einem verwitterten Picknicktisch. Auf dem Tisch befanden sich eine Schachtel Pralinen, zwei Gläser Milch und die Papierrolle, die ich ihm am Morgen gegeben hatte. Ich setzte mich ihm gegenüber und wies mit dem Kopf auf das Papier.
    »Also, wo ist das Problem?«
    Dann griff ich nach den Pralinen und begutachtete die Auswahl. Hauptsächlich dunkle Schokolade mit Nüssen und Karamell. Genau das, was ich auch ausgesucht hätte.
    Grant fuhr mit dem Finger die Seite entlang, verharrte auf einer Zeile und tippte auf ein Wort, das ich, auf dem Kopf stehend,
     nicht entziffern konnte.
    »Haselnuss«, begann er. »Versöhnung. Was hast du gegen Frieden?«
    »Es liegt an der Geschichte der Familie Betulaceae, die jahrhundertelang in zwei Arten aufgeteilt war: Betulaceae und Corylaceae. Erst vor kurzem wurden sie als Unterarten derselben Art zusammengeführt«, erklärte ich. »Zusammenführung – Versöhnung.«
    Grant betrachtete die Tischplatte. Aus seiner Miene schloss ich, dass er die Vorgeschichte bereits kannte. »Bei dir habe ich wohl keine Chance, zu gewinnen, was?«
    »Das weißt du selbst«, erwiderte ich. »Hast du mich wirklich hergebracht, um es zu versuchen?«
    Er blickte zum Haus und dann über die Felder.
    »Nein«, gab er zu. »Habe ich nicht.« Er schnappte sich eine Handvoll Pralinen und stand auf. »Iss von der Schokolade. Ich bin gleich wieder da. Dann machen wir einen Spaziergang.«
    Ich trank meine Milch. Als Grant zurückkam, hatte er eine Kamera bei sich, die, schwer und schwarz, an einem bestickten Riemen um seinen Hals hing. Sie sah aus, als gehöre sie, wie die Sprache der Blumen, ins viktorianische Zeitalter.
    Er nahm die Kamera und reichte sie mir. »Für dein Wörterbuch«, verkündete er. Ich verstand sofort. Ich sollte mein eigenes Wörterbuch verfassen, und seine Blumen würden die Seiten bebildern. »Mach eine Kopie für mich«, fügte er hinzu. »Damit wir einander nie missverstehen.«
    Das alles ist nichts als ein Missverständnis, dachte ich, während ich nach der Kamera griff. Ich fahre nicht mit jungen Männern in Pick-ups herum, sitze an Picknicktischen und esse Schokolade. Und ich trinke keine Milch, während ich mich über Familien – pflanzliche und andere – unterhalte.
    Als Grant losging, folgte ich ihm. Er brachte mich zu einer ungeteerten Straße, die nach Westen führte. Vor uns versank die Sonne hinter den Hügeln. Der Himmel war unentschlossen und wechselte, in banger Erwartung eines Regengusses, hinter herannahenden Gewitterwolken zwischen Orangefarben und Blau. Ich schlang die Arme fest um den Leib und blieb einen Schritt zurück. Grant wies nach links auf eine lange Reihe von Holzschuppen, alle mit Vorhängeschlössern gesichert. Das sei die Trockenblumenproduktion gewesen, erklärte er. Doch er habe sie eingestellt, als seine Mutter krank wurde. Er habe nicht viel für die Leichen von Lebewesen übrig. Rechts erstreckten sich beleuchtete Gewächshäuser viele Quadratkilometer weit. Lange Schläuche schlängelten sich aus einem Spalt weit offen stehender Türen. Grant trat auf eine zu und hielt sie mir auf. Ich schlüpfte hinein.
    »Orchideen«, stellte er fest und deutete auf die Regalbretter voller gestapelter Töpfe. »Noch nicht zum Verkauf bereit.« Es war keine Blüte in Sicht.
    Wir verließen das Gewächshaus und folgten weiter dem Pfad, der einen Hügel hinauf- und auf der anderen Seite wieder hinunterführte. Irgendwo hinter den Blumenfeldern begann der Weinberg, aber die Grundstücksgrenze lag außer Sichtweite. Der Weg beschrieb schließlich eine Kurve um die Gewächshäuser und zurück durch die Blumenfelder, bis wir wieder vor dem Haus standen.
    Grant ging mit mir einen Abhang hinab in einen Rosengarten. Er war klein und sorgfältig gepflegt und wirkte, als gehöre er zum Haus, nicht zur Gärtnerei. Als Grants Hand unterwegs meine streifte, wich ich zurück.
    »Hast du schon einmal jemandem eine rote Rose geschenkt?«, fragte Grant. Ich starrte ihn an, als hätte er versucht, mir Fingerhut einzutrichtern. »Moosrosen? Myrte? Federnelke?«, hakte er nach.
    »Liebesgeständnis? Liebe? Reine Liebe?«, erkundigte ich mich, um sicherzugehen, dass wir dieselbe Bedeutung voraussetzten. Er nickte. »Nein, nein und nein.«
    Ich pflückte eine hellrosafarbene Blüte und zupfte ein Blütenblatt nach dem anderen ab.
    »Ich bin eher der Typ Distel, Pfingstrose und Basilikum«, erklärte ich.
    »Misanthropie, Wut, Hass«,

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