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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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eintreffenden Arbeiter zu achten.
    Der Busfahrer sah mich im Rückspiegel giftig an. Seine Augen, die er eigentlich auf die Straße hätte richten sollen, verfolgten jeden Bissen Sandwich, den ich in den Mund schob. Als ich mit offenem Mund kaute, verzog er angewidert das Gesicht.
    »Dann schauen Sie halt nicht hin!«, schrie ich und sprang auf. »Wenn es Sie so ekelt, schauen Sie einfach nicht hin.« Ich griff nach meinem Rucksack und überlegte kurz, ob ich aus dem fahrenden Bus springen und den Rest des Schulwegs zu Fuß zurücklegen sollte. Doch stattdessen holte ich weit aus und ließ den Tornister auf den glänzenden Kahlkopf des Busfahrers niedersausen. Als meine Thermosflasche aus massivem Stahl auf seinen Schädel krachte, knackte es ausgesprochen befriedigend. Der Bus geriet ins Schleudern, der Busfahrer fluchte, und die anderen Kinder kreischten beinahe ohrenbetäubend. Irgendwo in all dem Radau ertönte Perlas dünne Stimme, die mich anflehte aufzuhören. Dann brach sie in Tränen aus. Als der Bus schlitternd am Straßenrand hielt und der Fahrer den Motor abschaltete, war es bis auf Perlas Schluchzen ruhig geworden.
    »Raus«, befahl der Fahrer. Auf seinem Schädel entstand bereits eine dicke Beule, und er presste die Handfläche darauf, während er mit der anderen Hand nach dem Funkgerät griff. Ich nahm meinen Tornister und stieg aus. Straßenstaub umwehte mich, als ich durch die offenen Türen in den Bus blickte.
    »Wie heißt deine Mutter?«, fragte der Fahrer und zeigte mit dem Finger auf mich.
    »Ich habe keine«, antwortete ich.
    »Dann der Name deines Vormunds.«
    »Der Staat Kalifornien.«
    »Bei wem, zum Teufel, wohnst du dann?« Als abgehackte Wortfetzen aus dem Funkgerät hallten, schaltete der Fahrer es ab. Im Bus herrschte Totenstille. Selbst Perla hatte aufgehört zu weinen und saß reglos da.
    »Elizabeth Anderson«, erwiderte ich. »Telefonnummer und Adresse kenne ich nicht.« In meiner Kindheit hatte ich mich standhaft geweigert, Telefonnummern auswendig zu lernen, um Fragen wie diese nicht beantworten zu können.
    Wütend schleuderte der Busfahrer das Funkgerät zu Boden. Als er mich voller Zorn anstarrte, hielt ich seinem Blick trotzig stand. Ich hoffte, er würde einfach losfahren und mich am Straßenrand stehen lassen. Das wäre mir lieber gewesen, als in die Schule gebracht zu werden. Außerdem gefiel mir der Gedanke, dass der Busfahrer dann wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht vermutlich seine Stelle verlieren würde. Er klopfte mit den Daumen auf die Hupe, während meine Erwartung sich die menschenleere Straße entlang erstreckte.
    Im nächsten Moment erhob sich Perla und stellte sich vor den Fahrer hin. »Sie können meinen Vater anrufen«, sagte sie. »Er wird sie abholen.«
    Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich Perla an, sie schaute weg.
    Carlos holte mich tatsächlich ab. Nachdem er mich in den Pick-up geschubst hatte, hörte er sich die Schilderung des Busfahrers an und fuhr dann schweigend mit mir zurück zum Weinberg. Unterwegs schaute ich aus dem Fenster und prägte mir jede Einzelheit ein, als sähe ich die Landschaft zum letzten Mal. Nach diesem Vorfall würde Elizabeth mich sicherlich wegschicken. Mein Magen krampfte sich zusammen.
    Doch als Carlos Elizabeth berichtete, was ich getan hatte, und mir dabei grob die schwielige Hand auf den Nacken legte, so dass ich sie ansehen musste, fing sie zu lachen an. Das Geräusch war so unerwartet und kurz, dass ich glaubte, ich hätte es mir nur eingebildet, sobald es verstummte.
    »Danke, Carlos«, meinte Elizabeth mit inzwischen ernster Miene. Als sie die Hand ausstreckte, um seine zu schütteln und rasch wieder loszulassen, war die Geste dankbar und abweisend zugleich. Rasch wandte Carlos sich zum Gehen um. »Brauchen die Arbeiter etwas?«, rief Elizabeth ihm nach. Carlos schüttelte den Kopf. »Ich bin in einer Stunde wieder da, vielleicht auch später. Bitte pass auf die Trauben auf, während ich fort bin.«
    »Wird gemacht«, entgegnete er und verschwand zwischen den Schuppen.
    Elizabeth steuerte schnurstracks auf ihren Pick-up zu. Als sie sich umdrehte und bemerkte, dass ich ihr nicht folgte, kehrte sie zu mir zurück. »Du kommst mit«, wies sie mich an. »Sofort.« Sie machte einen Schritt auf mich zu, und mir fiel ein, wie sie mich vor nur zwei Monaten ins Haus geschleppt hatte. Obwohl ich inzwischen gewachsen war und die verlorenen Pfunde wieder zugenommen hatte, bezweifelte ich nicht, dass sie mich noch immer

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