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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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und sonderte einen metallischen Geruch ab. Grant fuhr langsam und orientierte sich eher an seinem Erinnerungsvermögen als an dem, was von der Straße zu sehen war. Die Golden Gate Bridge war verlassen. Wasser bäumte sich in der Bucht auf und stürzte mit gleicher Wucht vom Himmel herab. Ich stellte mir vor, wie das Wasser in den Wagen eindrang und wie der Pegel während der Fahrt anstieg, bis Füße, Bauch und Kehle überschwemmt waren.
    Da ich die Adresse von Natalyas Apartment nicht preisgeben wollte, bat ich Grant, mich vor dem Flora abzusetzen. Als wir dort ankamen, regnete es immer noch. Ich weiß nicht, ob er mir zuwinkte, denn ich konnte ihn durch die nasse Windschutzscheibe nicht erkennen.
    Natalya und ihre Band bauten gerade ihre Instrumente auf, als ich die Tür öffnete. Sie nickten mir zu, während ich die Treppe hinaufhuschte. Ich nahm die Schüssel aus dem Rucksack, schloss meine kleine Tür auf, kroch hinein und rollte mich auf dem Boden zusammen. Das Wasser aus meinen nassen Kleidern sickerte in den Fellteppich ein, und die ganze Welt war nass, blau und kalt. Mit weit aufgerissenen Augen und zitternd lag ich da. In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf.

4.
    B ist du bereit?«, fragte Elizabeth.
    Es wunderte mich, dass wir nur ein kurzes Stück gefahren waren. Elizabeth hatte hinter einem abgeschlossenen Metalltor in einer Auffahrt geparkt. Rechts von uns lag der Parkplatz, wo der Bauernmarkt abgehalten wurde. Unmittelbar dahinter begannen die Weinberge. Mir wurde klar, dass die beiden Anwesen irgendwo jenseits der riesigen asphaltierten Fläche aneinandergrenzten.
    Elizabeth stieg aus und holte einen Generalschlüssel aus der Tasche. Sie steckte ihn ins Schloss, und das Tor schwang auf. Ich wartete darauf, dass sie zum Wagen zurückkehrte, aber sie winkte mich zu sich.
    »Wir wollen zu Fuß gehen«, meinte sie, als ich neben ihr stand. »Es ist lange her, dass ich dieses Land betreten habe.«
    Langsam schlenderte sie die Auffahrt entlang zum Haus. Hin und wieder blieb sie stehen, um eine verwelkte Blüte abzuzupfen oder den Daumen in die Erde zu stecken. Hier, inmitten der Blumen, begriff ich erst wirklich, welche gewaltigen Ausmaße das Zerwürfnis zwischen den beiden Schwestern haben musste. Mir fiel nichts ein, was Elizabeth so wütend gemacht haben konnte, dass sie nicht nur ihre Schwester verstoßen, sondern außerdem jahrelang auf diese endlosen Blumenfelder verzichtet hatte. Offenbar war es ein ungeheurer Verrat gewesen.
    Als Elizabeth sich dem Haus näherte, wurde sie schneller. Es war kleiner als unseres und außerdem gelb, hatte aber ein ähnliches Satteldach. Während wir die Haustreppe hinaufstiegen, bemerkte ich, dass das Holz schwammig war, als sei es nach den Regenfällen des letzten Frühjahrs nicht richtig getrocknet. Rings um die Tür blätterte der gelbe Anstrich in großen Fladen ab, und tief über der Tür hing eine windschiefe Regenrinne, so dass Elizabeth sich ducken musste.
    Oben an der Treppe machte Elizabeth einen Schritt auf die Tür zu. In das blaulackierte Holz war ein kleines rechteckiges Fenster eingelassen. Sie beugte sich vor. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und zwängte meinen Kopf in die Lücke unter Elizabeths Kinn. Wir spähten hinein. Die verzogene Glasscheibe war schmutzig, so dass man den Eindruck hatte, durch Wasser zu schauen. Die Kanten der Möbelstücke waren verschwommen, die gerahmten Fotografien über dem Kaminsims schienen zu schweben. Ein dünner geblümter Teppich verschwand, als das Glas unter unserem Atem beschlug. Ich erkannte, dass der Raum leer war. Keine Menschen, kein Geschirr, keine Zeitungen oder sonstige Hinweise auf Bewohner.
    Dennoch klopfte Elizabeth, erst leise, dann lauter. Sie wartete, und als niemand erschien, wurde ihr Klopfen heftiger. Das Geräusch war Ausdruck ihrer Enttäuschung. Trotzdem kam niemand an die Tür.
    Elizabeth machte kehrt und marschierte die Stufen hinunter. Da ich befürchtete, sie könnten unter mir nachgeben, folgte ich ihr auf Zehenspitzen. Nach zehn Schritten drehte Elizabeth sich um und musterte das Haus. Sie wies auf einen Giebel, dessen Fenster geschlossen, jedoch nicht mit einem Vorhang versehen war.
    »Siehst du dieses Fenster?«, fragte Elizabeth. »Dahinter befindet sich der Dachboden, wo wir als Kinder gespielt haben. Als ich ins Internat geschickt wurde – ich war zehn, also muss Catherine siebzehn gewesen sein –, hat sie ihr Atelier dort eingerichtet. Sie war begabt, sehr begabt. Jede

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