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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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heranziehen. Normalerweise mache ich das nicht, weil diese Blumen so sehr mit dem Frühling in Zusammenhang gebracht werden, dass sie sich bis Ende Februar eigentlich nicht verkaufen. Doch wenn du möchtest, können wir es versuchen.«
    »Wie lange dauert das?«, erkundigte ich mich.
    »Nicht lange«, entgegnete er. »Ich wette, Mitte Januar hast du Blüten.«
    »Ich frage sie«, sagte ich. »Danke.« Als ich mich aus dem Staub machen wollte, legte Grant mir die Hand auf die Schulter und hielt mich zurück. Ich wandte mich um.
    »Heute Nachmittag?«, meinte er.
    Ich dachte an die Blumen, seine Kamera und mein Wörterbuch. »Ich müsste um zwei fertig sein.«
    »Ich hole dich ab.«
    »Ich werde Hunger haben«, antwortete ich im Gehen.
    Grant lachte. »Ich weiß.«
     
    Annemarie wirkte eher erleichtert als enttäuscht, als ich ihr die Mitteilung machte. Januar sei in Ordnung, erwiderte sie. Mehr als in Ordnung. Während der Feiertage würde sie sehr beschäftigt sein. Der Monat würde nur so vorbeirauschen. Sie schrieb mir ihre Telefonnummer auf, zog den roten Gürtel ihres Mantels fest zusammen und folgte Bethany, die schon fast an der Straßenecke war. Ich hatte ihr Ranunkeln gegeben:
Dein Liebreiz lässt dich strahlen.
    Wie schon in der Woche zuvor kam Grant zu früh. Renata bat ihn herein. Er saß am Tisch, sah uns bei der Arbeit zu und aß dabei Hühnercurry aus einem dampfenden Styroporbehälter. Ein zweiter verschlossener Behälter stand neben ihm. Als ich mit den Tischdekorationen fertig war, sagte Renata, dass ich gehen könne.
    »Was ist mit den Anstecksträußen?«, fragte ich und warf einen Blick in den Karton, in den sie die Sträuße für die Brautjungfern geschichtet hatte.
    »Ich erledige das«, meinte sie. »Ich habe genug Zeit. Verschwinde nur.« Sie scheuchte mich zur Tür.
    »Willst du hier essen?«, erkundigte sich Grant und reichte mir eine Plastikgabel und eine Serviette.
    »Im Auto. Ich möchte kein Tageslicht vergeuden.« Renata sah uns zwar neugierig an, hakte jedoch nicht nach. Sie war der diskreteste Mensch, den ich kannte, und ich wurde von Zuneigung für sie ergriffen, als ich Grant zur Tür hinaus folgte.
    Auf der langen Fahrt zu Grants Haus waren die Scheiben vom Curry und unserem Atem beschlagen. Wir schwiegen. Das stete Surren der Lüftung war das einzige Geräusch. Draußen war es feucht, doch der Nachmittag klarte auf. Als Grant das Tor öffnete und zum Haus fuhr, war der Himmel blau. Er ging hinein, um die Kamera zu holen. Aber zu meiner Überraschung betrat er das viereckige, dreistöckige Gebäude, nicht das Haus.
    »Was ist das?«, wollte ich wissen, als Grant zurückkehrte, und wies darauf.
    »Der Wasserturm«, antwortete er. »Ich habe ihn zu einer Wohnung umgebaut. Möchtest du sie dir anschauen?«
    »Licht«, sagte ich und schaute in Richtung der bereits untergehenden Sonne.
    »Richtig.«
    »Vielleicht danach.«
    »Gut. Soll ich dir wieder eine Unterrichtsstunde geben?«, fragte Grant. Er machte einen Schritt auf mich zu und legte mir den Riemen der Kamera um den Hals. Seine Hände strichen über meinen Nacken.
    Ich schüttelte den Kopf. »Blendengeschwindigkeit, Belichtungsdauer, Schärfe«, meinte ich, betätigte verschiedene Regler und wiederholte die Begriffe, mit denen er mich in der letzten Woche bombardiert hatte. »Ich bringe es mir selbst bei.«
    »Einverstanden«, erwiderte er. »Ich bin drinnen.« Er drehte sich um und kehrte in den Wasserturm zurück. Ich wartete, bis in einem Fenster im zweiten Stock das Licht anging, bevor ich mich dem Rosengarten zuwandte.
    Ich wollte mit der weißen Rose beginnen, in meinen Augen ein passender Anfang. Also setzte ich mich vor den blühenden Strauch und kramte ein unbenutztes Notizbuch aus meinem Rucksack. Ich wollte mir selbst das Fotografieren beibringen, indem ich meine Erfolge und Fehlschläge dokumentierte. Wenn ich die Fotos in der nächsten Woche entwickeln ließ und feststellte, dass nur ein Foto scharf geworden war, musste ich genau wissen, was ich getan hatte, um dieses Ergebnis zu erzielen. Ich schrieb die Zahlen eins bis sechsunddreißig auf eine Seite.
    Im schwindenden Licht fotografierte ich dieselbe halboffene weiße Rosenblüte. Danach beschrieb ich, ohne Fachausdrücke zu verwenden, was der Belichtungsmesser angezeigt hatte, sowie die genaue Stellung der diversen Regler und Knöpfe. Ich notierte mir die Schärfeneinstellung, den Sonnenstand und den Einfallswinkel der Schatten. Außerdem maß ich den Abstand

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