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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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wärst, würde ich dich rausschmeißen«, meinte Renata. Allerdings schwang eher Belustigung als Zorn in ihrem Tonfall mit. Ich fragte mich, ob sie glaubte, dass ich verliebt war. Die Wahrheit war, wie ich fand, um einiges komplizierter.
    »Steh auf«, sagte Renata. »Die eine Dame ist wieder da.« Ich seufzte. Wir hatten keine roten Rosen mehr.
    Die Frau stützte die Ellbogen auf die Theke. Sie trug einen apfelgrünen Regenmantel. Neben ihr stand eine zweite Frau, jünger und hübscher, die einen ebenso geschnittenen roten Mantel mit Gürtel anhatte. Die schwarzen Stiefel der beiden waren nass. Ich schaute aus dem Fenster. Es hatte wieder zu regnen angefangen. Dabei waren meine Kleider und mein Zimmer nach dem Wolkenbruch der letzten Woche gerade erst getrocknet. Ich zitterte.
    »Das ist die berühmte Victoria«, verkündete die Frau und wies mit dem Kopf auf mich. »Victoria, das ist meine Schwester Annemarie. Ich heiße übrigens Bethany.« Als sie mir die Hand hinhielt, schüttelte ich sie. Ihr fester Händedruck zerquetschte mir fast die Knochen.
    »Wie geht es Ihnen?«, erkundigte ich mich.
    »So gut wie noch nie«, erwiderte Bethany. Ihre Schwester wandte sich kopfschüttelnd ab. »Ich habe Thanksgiving bei Ray verbracht. Da wir beide noch nie ein Thanksgiving-Essen gekocht hatten, haben wir den halbgaren Truthahn schließlich weggeworfen und uns Tomatensuppe aus der Dose warm gemacht. Wundervoll«, fügte sie hinzu. Ihrem Tonfall war eindeutig zu entnehmen, dass sie nicht nur die Suppe meinte. Ihre Schwester stöhnte auf.
    »Wer ist Ray?«, fragte ich. Als Renata, den Besen in der Hand, in der Tür erschien, wich ich ihrem zweifelnden Blick aus.
    »Ein Kollege aus dem Büro. Bis jetzt haben wir immer nur gemeinsam über die unbequemen Arbeitsplätze gejammert. Aber dann, am Mittwoch, stand er plötzlich vor meinem Schreibtisch und lud mich zu sich ein.«
    Bethany war am kommenden Abend wieder mit Ray verabredet und brauchte einen Strauß für ihre Wohnung. Etwas Verführerisches, wie sie sagte, allerdings nichts zu Offensichtliches. »Keine Orchideen«, ergänzte sie, als handle es sich hierbei um erotische Blumen, nicht um das Symbol der eleganten Schönheit.
    »Und für Ihre Schwester?«, meinte ich. Annemarie wirkte zwar verlegen, protestierte jedoch nicht, als Bethany Einzelheiten aus ihrem Liebesleben schilderte.
    »Sie ist
verheiratet
«, begann sie und betonte dabei das Wort, als ob es die Wurzel allen Übels sei. »Jetzt macht sie sich Sorgen, ihr Mann könnte sie nicht mehr anziehend finden, was, wenn man sie sich ansieht, einfach nur albern ist. Aber es läuft nichts … Sie wissen schon. Und zwar bereits seit langem.« Annemarie sah aus dem Fenster, ohne ihren Mann oder ihre Ehe in Schutz zu nehmen.
    »Gut«, sagte ich, nachdem ich verstanden hatte. »Morgen?«
    »Bis Mittag«, erwiderte Bethany. »Ich brauche den ganzen Nachmittag, um meine Wohnung sauber zu machen.«
    »Annemarie?«, fragte ich. »Ist Mittag in Ordnung?«
    Annemarie antwortete nicht sofort, sondern schnupperte an den Rosen, den Dahlien und den übrig gebliebenen orangefarbenen und gelben Blumen. Als sie aufschaute, lag ein leerer Blick in ihren Augen, den ich nachvollziehen konnte. Sie nickte. »Ja«, meinte sie. »Bitte.«
    »Dann also bis morgen«, verabschiedete ich mich, als sie sich zum Gehen wandten.
    Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, drehte ich mich zu Renata um, die noch immer mit dem Besen in der Tür stand. »Die berühmte Victoria«, spöttelte sie. »Die den Menschen ihre Wünsche erfüllt.«
    Achselzuckend schob ich mich an ihr vorbei, nahm meine Jacke vom Haken und wollte gehen.
    »Morgen?«, erkundigte ich mich. Renata hatte mir nie feste Arbeitszeiten gegeben. Ich trat zum Dienst an, wenn sie es so wollte.
    »Vier Uhr morgens«, erwiderte sie. »Hochzeit am frühen Nachmittag. Zweihundert Gäste.«
    Den Abend verbrachte ich damit, in meinem blauen Zimmer zu sitzen und über Annemaries Bitte nachzudenken. Mit dem Gegenteil von Nähe war ich gut vertraut: Hortensie –
Gleichgültigkeit
 – war schon immer eine meiner Lieblingsblumen gewesen. Sie blühte in den gepflegten Gärten San Franciscos das halbe Jahr über und eignete sich großartig dazu, Mitbewohnerinnen und Betreuerinnen auf Abstand zu halten. Doch Intimität, Vertrautheit und Lust waren Dinge, mit denen ich mich noch nie beschäftigt hatte. Stundenlang brütete ich im Schein der nackten Glühbirne, deren gelbliches Licht auf die

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