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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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zwischen Kamera und Rose ab, indem ich die Länge meiner Handfläche zu Hilfe nahm. Als der Film zu Ende und es zu dunkel war, hörte ich auf.
    Bei meiner Rückkehr saß Grant am Küchentisch. Die Tür stand offen, so dass es drinnen genauso kalt war wie draußen. Mit dem Sonnenuntergang war auch die Wärme verflogen. Ich rieb mir die Hände.
    »Tee?«, fragte Grant. Er hielt mir eine dampfende Tasse hin.
    Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. »Bitte.«
    Wir saßen einander an einem verwitterten Holzpicknicktisch gegenüber, der genauso aussah wie der draußen. Er war an ein kleines Fenster gerückt, das Blick auf das Anwesen bot: sanft abfallende Reihen von Blumen, Schuppen und Gewächshäuser und das leere Haus. Grant stand auf, um den Deckel des Reiskochers zurechtzurücken. Flüssigkeit spritzte aus dem kleinen Ventil. Dann öffnete er einen Schrank und entnahm ihm eine Flasche Sojasauce, die er auf den windschiefen Tisch stellte.
    »Das Essen ist fast fertig«, verkündete er. Ich betrachtete den Herd. Nichts kochte, bis auf den Reis. »Möchtest du dir das Haus anschauen?«
    Ich zuckte die Achseln, stand jedoch auf.
    »Das ist die Küche.« Die Schränke waren hellgrün lackiert, die Arbeitsflächen bestanden aus Resopal und hatten einen silberfarbenen Rand. Offenbar besaß Grant kein Schneidebrett, denn sie waren mit Kratzern und Dellen übersät. Der antike weiße und verchromte Gasherd verfügte über eine herausklappbare Platte, auf der ich einige leere grüne Glasvasen und einen Holzlöffel bemerkte. An der Spitze des Löffels war ein weißes verblasstes Preisschild zu sehen, woraus ich schloss, dass er entweder nie benutzt oder nie gespült worden war. Jedenfalls hatte ich keine große Lust, Grants Kochkünste zu kosten.
    In einer Ecke des Raums führte eine schwarze Wendeltreppe durch eine kleine viereckige Öffnung nach oben. Als Grant hinaufstieg, folgte ich ihm. Der erste Stock enthielt ein Wohnzimmer, das gerade groß genug für ein orangefarbenes zweisitziges Sofa aus Velours und ein vom Boden bis zur Decke reichendes Bücherregal war. Durch eine offene Tür erkannte ich ein weißgekacheltes Bad mit einer Wanne mit Löwentatzen. Es gab weder Fernseher noch Stereoanlage, ja, nicht einmal ein Telefon.
    Grant kehrte zurück zur Treppe und brachte mich in den zweiten Stock, wo der Raum von Wand zu Wand mit einer dicken Schaumstoffmatratze ausgelegt war. An den Kanten waren die Laken verrutscht, so dass man den bröckeligen Schaumgummi sah. In zwei Ecken bemerkte ich Kleiderstöße, der eine gefaltet, der andere nicht. Wo eigentlich die Kopfkissen hätten sein sollten, stapelten sich Bücher.
    »Mein Schlafzimmer«, sagte Grant.
    »Wo schläfst du?«, fragte ich.
    »In der Mitte. Normalerweise näher an den Büchern als an den Kleidern.« Er machte einen Schritt über die Schaumstoffmatratze und schaltete die Leselampe ab. Ich hielt mich am Geländer fest und kehrte zurück in die Küche.
    »Hübsch«, meinte ich. »Ruhig.«
    »Mir gefällt es so. Ich kann vergessen, wo ich bin, weißt du?« Ich wusste, wovon er sprach. In Grants Wasserturm, in dem sämtliche technischen und digitalen Geräte fehlten, war es leicht, nicht nur zu vergessen, an welchem Ort man sich befand, sondern auch, in welchem Jahrzehnt.
    »Die Punkband meiner Mitbewohnerin probt die ganze Nacht in der Etage unter unserer Wohnung«, erklärte ich ihm.
    »Das klingt ja schrecklich.«
    »Ist es auch.«
    Er ging zur Arbeitsfläche und löffelte heißen, matschigen Reis in große Suppenschalen aus Keramik. Dann reichte er mir eine Schale und einen Löffel. Wir aßen. Der Reis wärmte mir Mund, Kehle und Magen und schmeckte viel besser als erwartet.
    »Kein Telefon?«, fragte ich und schaute mich um. Bis jetzt hatte ich gedacht, der einzige junge Mensch in dieser modernen Welt zu sein, der nicht ständig an einem Kommunikationsgerät hing. Grant schüttelte den Kopf. »Und auch keine Familie?«, fuhr ich fort.
    Wieder ein Kopfschütteln. »Mein Vater ist gegangen, bevor ich geboren wurde. Er wollte zurück nach London. Ich habe ihn nie kennengelernt. Als meine Mutter starb, hat sie mir das Land und die Blumen vermacht, sonst nichts.« Er aß einen Löffel Reis.
    »Vermisst du sie?«, fragte ich ihn.
    Grant kippte mehr Sojasauce auf seinen Reis. »Manchmal. Ich vermisse sie, wie sie in meiner Kindheit war. Damals hat sie mir jeden Abend ein Essen gekocht und mir Pausenbrote mit essbaren Blumen gemacht. Doch als es mit ihr zu Ende

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