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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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Also nahm er meinen Bonus und überreichte mir die Fahrzeugpapiere. Ich fand, dass es ein fairer Tausch war. Allerdings hatte ich keine Ahnung vom Wert eines Autos. Außerdem besaß ich keinen Führerschein und konnte nicht fahren. Grant schleppte den Kombi mit seinem Blumenlaster vom Flora zur Gärtnerei. Wochenlang erlaubte er mir nicht, das Gelände zu verlassen. Und als es endlich so weit war, durfte ich nur zum Drogeriemarkt und zurück fahren. Da ich immer noch eine Todesangst hatte, dauerte es einen weiteren Monat, bis ich mich allein in die Stadt wagte.
    Den Frühling verbrachte ich damit, vormittags bei Renata zu arbeiten und nachmittags die restlichen Blumen für mein Wörterbuch zusammenzusuchen. Nachdem ich alles in Grants Gärtnerei fotografiert hatte, ging ich in den Golden Gate Park und an die Küste. Das ganze nördliche Kalifornien war ein botanischer Garten, wo zwischen stark befahrenen Schnellstraßen Wildblumen wucherten und Kamillenblüten aus Rissen im Gehweg ragten. Manchmal kam Grant mit; er war gut im Bestimmen von Pflanzen, hielt es aber nicht lange in den kleinen viereckigen, von mageren Sonnenanbetern wimmelnden Stadtparks aus.
    Wenn Renata und ich am Wochenende früh genug fertig wurden, unternahmen Grant und ich Wanderungen in den Mammutbaumwäldern nördlich von San Francisco. Bevor wir uns für eine Richtung entschieden, warteten wir stets eine Weile auf dem Parkplatz, um festzustellen, welche Wanderwege am wenigsten belebt waren. Allein im Wald, war Grant völlig damit zufrieden, mir stundenlang beim Fotografieren zuzuschauen. Er erläuterte mir ausführlich jede Pflanzenart und ihre Beziehung zu anderen Pflanzen im Ökosystem. Nachdem er mir alles erzählt hatte, was er wusste, lehnte er sich an den Stamm eines Mammutbaums und blickte durch die Äste zum fahlen Himmel hinauf. Schweigen entstand zwischen uns. Stets rechnete ich damit, dass er Elizabeth oder Catherine oder die Nacht erwähnen würde, in der er mich der Lüge bezichtigt hatte. Viele Stunden grübelte ich darüber nach, was ich antworten und wie ich ihm die Wahrheit sagen sollte, ohne ihn für immer gegen mich aufzubringen. Doch Grant sprach nicht über die Vergangenheit – weder im Wald noch sonst irgendwo. Offenbar genügte es ihm, unser gemeinsames Leben auf die Blumen und die Gegenwart zu beschränken.
    Ich übernachtete häufig im Wasserturm. Grant hatte angefangen, sich ernsthaft mit dem Kochen zu beschäftigen, und auf der Anrichte stapelten sich bebilderte Kochbücher. Während ich am Küchentisch saß, las, aus dem Fenster schaute oder von einer besonders anstrengenden Braut berichtete, hackte, würzte und rührte er. Nach dem Essen küsste er mich, nur einmal, um festzustellen, wie ich darauf reagieren würde. Manchmal erwiderte ich den Kuss. Dann zog er mich an sich, und wir standen eine halbe Stunde eng umschlungen in der Tür. An anderen Tagen hingegen blieben meine Lippen kalt und reglos. Selbst ich konnte nicht vorhersagen, wie ich darauf ansprechen würde. Unsere immer enger werdende Beziehung löste in mir gleichzeitig eine unvorhersehbare Furcht und Sehnsucht aus. Jede Nacht ging Grant hinaus zu seinem Schlafplatz, und ich schloss die Tür hinter ihm ab.
     
    Eines Abends während der Woche, es war Ende Mai und wir hielten uns nun schon seit einigen Monaten an dieses Ritual, beugte Grant sich vor, wie um mich zu küssen, hielt aber wenige Zentimeter vor meinen Lippen inne. Er legte die Hände unten an meinen Rücken und zog mich an sich, so dass sich unsere Körper, nicht aber unsere Gesichter berührten. »Ich glaube, es ist Zeit«, sagte er.
    »Für was?«, fragte ich.
    »Dass ich mein Bett zurückbekomme.«
    Ich schnalzte mit der Zunge und sah aus dem Fenster.
    »Wovor hast du Angst?«, erkundigte er sich, nachdem ich eine Weile geschwiegen hatte.
    Ich dachte darüber nach. Er hatte recht. Ich wusste, dass es Angst war, die uns voneinander trennte. Doch wovor genau fürchtete ich mich?
    »Ich mag nicht angefasst werden«, wiederholte ich Merediths Worte von vor langer Zeit. Aber als ich sie aussprach, klangen sie lächerlich. Schließlich standen wir eng aneinandergepresst da, ohne dass ich mich losgerissen hätte.
    »Dann fasse ich dich nicht an«, erwiderte er. »Nur, falls du es möchtest.«
    »Auch nicht, wenn ich schlafe?«, meinte ich.
    »Vor allem dann nicht.« Ich wusste, dass das wahr war.
    Ich nickte. »Du kannst in deinem Bett schlafen«, sagte ich. »Doch ich übernachte auf dem Sofa.

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