Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
Platz, als ich gedacht hatte. In der kleinen Küche mit ihren ruhigen alten Geräten wirkte sie laut und neu. Ich wollte sie schon nach oben bringen, als ich den Kies unter den Rädern von Grants Pick-up knirschen hörte.
Grant kam zur Tür herein und steuerte direkt auf die Box zu. Er lächelte.
»Ist es das?«, fragte er.
Ich nickte und gab ihm den Zettel mit der fehlenden Pflanze. »Es ist aber noch nicht ganz fertig.«
Grant ließ den Zettel auf den Boden fallen und klappte den Deckel auf. Dann blätterte er die Karten durch und bewunderte meine Fotos eines nach dem anderen. Ich drehte eine Karte um und zeigte ihm die Bedeutung, legte die Karte zurück und schloss den Deckel über seinen Fingern.
»Du kannst es dir später anschauen«, meinte ich, hob den Zettel vom Boden auf und schwenkte ihn vor seinem Gesicht. »Zuerst brauche ich Hilfe, um das hier zu finden.«
Grant las den Blumennamen. Er schüttelte den Kopf. »Eine Kirschblüte? Da wirst du dich bis nächsten April gedulden müssen.«
Meine Kamera prallte gegen den Tisch. »Fast ein ganzes Jahr? So lange kann ich nicht warten.«
Grant lachte. »Was verlangst du von mir? Dass ich einen Kirschbaum in mein Gewächshaus umpflanze? Selbst dann würde er nicht blühen.«
»Was soll ich sonst tun?«, erwiderte ich.
Da er wusste, dass ich nicht so rasch aufgeben würde, überlegte er eine Weile. »Schau in meinen Botaniklehrbüchern nach«, sagte er.
Ich rümpfte die Nase und beugte mich so weit vor, dass ich ihn hätte küssen können. Aber ich tat es nicht. Stattdessen rieb ich die Nase an seiner stoppeligen Wange und biss ihn ins Ohr. »Bitte.«
»Bitte was?«, entgegnete er.
»Bitte schlag mir etwas Schöneres vor als eine Abbildung in einem Lehrbuch.«
Grant blickte aus dem Fenster. Er schien mit einem Gedanken zu ringen. Es war fast, als hätte er eine späte Kirschblüte in der Tasche und überlege nun, ob ich wichtig und vertrauenswürdig genug sei, um sie zu bekommen. Schließlich nickte er.
»Gut«, meinte er. »Komm mit.«
Grant ging zur Tür hinaus. Die Kamera um den Hals, folgte ich ihm. Wir überquerten den Platz und stiegen die Vortreppe des Haupthauses hinauf. Grant kramte einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Hintertür. Durch einen Wäscheraum, wo eine hellrosafarbene Damenbluse am Trockengestell flatterte, erreichten wir die Küche. Die Vorhänge waren zugezogen, die Arbeitsflächen staubig und dunkel. Alle Geräte waren ausgesteckt; der totenstille Kühlschrank beunruhigte mich.
Von der Küche aus führte eine Schwingtür ins Esszimmer. Der Tisch war zur Seite gerückt. Ein Schlafsack lag ausgebreitet auf dem Holzboden. Daneben erkannte ich Grants Sweatshirt und seine zusammengerollten Socken.
»Als du mich aus meinem eigenen Zuhause vertrieben hast«, sagte Grant lächelnd und wies auf den Haufen.
»Hast du denn hier kein Zimmer?«
Grant nickte bejahend. »Aber ich habe seit zehn Jahren nicht mehr dort geschlafen«, erklärte er. »Offen gestanden war ich seit dem Tod meiner Mutter nur einmal oben.«
Links von mir ragte die Treppe auf. Ein breites hölzernes Geländer verlief bogenförmig die Wand entlang. Grant machte einen Schritt darauf zu.
»Komm«, forderte er mich auf. »Ich möchte dir etwas zeigen.« Oben an der Treppe befand sich ein langer Flur. Die Türen zu beiden Seiten waren geschlossen. Der Flur endete an fünf Stufen. Wir stiegen sie hinauf und duckten uns durch eine niedrige Tür.
In dem kleinen Raum war es wärmer als im restlichen Haus. Es roch nach Staub und getrockneter Farbe. Noch ehe ich das mit Brettern vernagelte Giebelfenster erreicht hatte, wusste ich, dass wir in Catherines Atelier waren. Nachdem sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erkannte ich vertäfelte Wände, einen langen Zeichentisch und Regale voller Künstlerbedarf. Auf dem obersten Regalbrett standen halbleere Gläser mit violetter Farbe. Pinsel waren in harten lavendelfarbenen und altrosafarbenen Pfützen erstarrt. An einer rings um den Raum gespannten Leine hingen Zeichnungen – große, kunstvoll gestaltete Blumen in Bleistift und Kohle, befestigt mit hölzernen Wäscheklammern.
»Meine Mutter war Künstlerin«, erklärte Grant. »Jeden Tag hat sie viele Stunden hier verbracht. Den Großteil meines Lebens hat sie nur Blumen gezeichnet: seltene tropische oder zarte, kurz blühende. Sie hatte Angst, sie könnte irgendwann nicht die richtige Blume haben, um auszudrücken, was sie sagen
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