Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
und Blumen für eine Hochzeit am kommenden Samstag schon an diesem Sonntag zu besorgen war nicht möglich. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach San Jose oder Santa Rosa zum nächsten Großmarkt zu fahren. Doch als ich mich umhörte, stellte ich fest, dass es im gesamten nördlichen Kalifornien keinen anderen Großmarkt gab. Floristen fuhren mitten in der Nacht Hunderte von Kilometern weit, um Blumen in San Francisco zu kaufen.
Deshalb überlegte ich, die Blumen im Einzelhandel zu erstehen. Aber nachdem ich die Kosten berechnet hatte, kam ich zu dem Schluss, dass ich auf diese Weise keinen Gewinn erwirtschaften, sondern möglicherweise sogar Verlust machen würde. Also fuhr ich am Freitag vor der Hochzeit zum Gathering House, stieg die Betontreppe hinauf und klopfte an die schwere Tür.
Ein mageres Mädchen mit weißblondem Haar ließ mich herein.
»Braucht hier jemand einen Job?«, fragte ich. Das blonde Mädchen ging den Flur entlang und kehrte nicht zurück. Die Mädchengruppe, die sich auf dem Sofa drängte, betrachtete mich argwöhnisch.
»Ich habe früher hier gewohnt«, erklärte ich. »Inzwischen bin ich Floristin. Morgen habe ich eine Hochzeit und brauche Hilfe beim Blumeneinkaufen.« Ein paar Mädchen standen auf, durchquerten das Zimmer und setzten sich zu mir an den Esstisch.
Um ihre Eignung zu ermitteln, stellte ich den Mädchen drei Fragen und hörte mir ihre Antworten an. Die erste Frage – »Besitzt du einen Wecker?« – löste heftiges Nicken aus. Die zweite – »Weißt du, wie man mit dem Bus zur Kreuzung 6. Straße und Brannan Street fährt?« – warf ein molliges rothaariges Mädchen am Ende des Tisches aus dem Rennen. Wie sie mir mitteilte, würde sie unter gar keinen Umständen mit dem Bus fahren. Ich verscheuchte sie mit einem Fingerschnippen.
Von den beiden übrig gebliebenen Mädchen wollte ich wissen, wozu sie das Geld brauchten. Die erste, eine Latina namens Lilia, ratterte eine lange Liste von Wünschen herunter, von denen einige notwendig, die meisten jedoch Luxus waren. Ihre Strähnchen wüchsen heraus, sagte sie. Ihre Körperlotion sei beinahe zu Ende, und sie habe keine passenden Schuhe zu dem Kleid, das ihr Freund ihr geschenkt habe. Ganz zum Schluss erwähnte sie noch die Miete. Mir gefiel zwar ihr Name, allerdings galt das nicht für ihre Antworten.
Die Augen des letzten Mädchens konnte ich wegen der langen Ponyfransen nicht sehen. Wenn sie sie sich hin und wieder aus dem Gesicht strich, ließ sie stattdessen die Hand auf der Stirn liegen. Aber sie beantwortete meine Frage klipp und klar, und zwar genau so, wie ich es erhofft hatte: Wenn sie die Miete nicht bezahlte, würde sie vor die Tür gesetzt werden. Als sie das aussprach, zitterte ihre Stimme, und sie versteckte ihr Gesicht in ihrem Rollkragenpullover, bis nur noch die Nase über den gestrickten Rand ragte.
Ich suchte ein Mädchen, das so sehr auf das Geld angewiesen war, dass es um halb vier Uhr morgens seinen Wecker hören und dann auch tatsächlich aufstehen würde. Dieses Mädchen würde mich nicht enttäuschen. Ich wies sie an, mich am folgenden Tag um fünf Uhr morgens an der Bushaltestelle in der Brannan Street, fünf Häuserblocks vom Blumenmarkt entfernt, zu treffen, und ging, ohne sie nach ihrem Namen zu fragen.
Das Mädchen kam zu spät. Zwar nicht so spät, dass ich nicht mehr rechtzeitig mit meinen Blumenarrangements fertig geworden wäre, doch spät genug, um mir Sorgen zu bereiten. Ich hatte keinen Ersatzplan und hätte Bethany eher ohne Strauß zum Altar geschickt, als eine Begegnung mit Grant zu riskieren. Immer wenn ich an ihn dachte, schmerzte mein Körper, und das Baby bewegte sich. Aber das Mädchen erschien, rennend und außer Atem, eine Viertelstunde nach der verabredeten Zeit. Sie sagte, sie sei im Bus eingeschlafen und habe ihre Haltestelle verpasst, versprach jedoch, schnell zu arbeiten und die Zeit aufzuholen. Ich gab ihr meinen Großhändlerausweis, ein Bündel Geldscheine und eine Liste mit Blumen.
Während das Mädchen drinnen war, patrouillierte ich vor dem Gebäude, voller Angst, sie könnte sich mit dem Geld aus dem Staub machen. Die vielen Notausgänge bereiteten mir Kopfzerbrechen, und ich hoffte, dass sie mit einer Alarmanlage ausgestattet waren. Doch nach einer halben Stunde kehrte sie mit Blumen beladen zurück. Sie gab mir Blumen und Wechselgeld und ging dann wieder hinein, um die zweite Hälfte zu holen. Danach luden wir die Blumen ins Auto und fuhren schweigend
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