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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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beobachtete, wie sich das Licht in der Alufolie fing und sich an den Wänden der Gebäude spiegelte, an denen sie vorbeikam. Selbst als Renata unmittelbar vor mir stand, sah ich sie nicht an. Mein Blick ruhte auf meinen Füßen, die unter meinem gewölbten Bauch kaum noch zu erkennen waren.
    »Hast du es ihm gesagt?«, fragte ich.
    »Weiß er es etwa nicht?« Renatas entsetzter und vorwurfsvoller Tonfall ließ mich zurückweichen, so dass ich vom Randstein auf die Straße taumelte. Renata hielt meine Schulter fest, damit ich nicht stürzte. Als ich aufschaute, waren ihre Augen gütiger als ihre Worte.
    Sie wies mit dem Kopf auf meinen Bauch. »Wann ist es so weit?«
    Ich zuckte die Achseln. Ich wusste es nicht, und es spielte auch keine Rolle. Das Baby würde kommen, wenn es bereit war. Ich würde nicht zum Arzt gehen und es auch nicht in einem Krankenhaus zur Welt bringen. Renata schien das alles zu verstehen, ohne dass ich es aussprechen musste.
    »Meine Mutter wird dir helfen und kein Geld von dir verlangen. Sie findet nämlich, dass diese Arbeit der Grund ist, warum sie in die Welt gesetzt wurde.« Ich konnte hören, wie Renatas Worte aus Mutter Rubinas Mund kamen, ihren dicken Akzent, ihre Hände auf meinem Körper. Ich schüttelte den Kopf.
    »Was willst du dann von mir?«, erkundigte sich Renata. Ihre Hilflosigkeit machte sich in kurzen, abgehackten Worten Luft.
    »Ich möchte arbeiten«, erwiderte ich. »Und ich möchte, dass du Grant nichts erzählst – weder dass ich zurück bin noch dass ich ein Baby erwarte.«
    Renata seufzte. »Er hat ein Recht darauf, es zu erfahren.«
    Ich nickte. »Das weiß ich.« Grant hatte ein Recht auf eine ganze Menge von Dingen, Dinge, die allesamt besser waren als ich. »Du verrätst ihm nichts?«
    Renata schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich werde auch nicht für dich lügen. Du kannst nicht bei mir arbeiten. Nicht, solange Grant mich jeden Samstag fragt, ob du wieder im Laden bist. Ich war noch nie eine gute Lügnerin und habe keine Lust, es jetzt zu lernen.«
    Als ich am Rinnstein zusammensackte, setzte Renata sich neben mich. Sie fühlte mir den Puls unter dem Uhrarmband. Er war kaum noch wahrzunehmen. Ich konnte keine andere Stelle finden. Selbst vor der Schwangerschaft waren meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht sehr hoch gewesen. In meinem derzeitigen, deutlich sichtbaren Zustand waren sie gleich null. Irgendwann würden meine Ersparnisse aufgebraucht sein. Ich würde es nicht schaffen, mich zu ernähren und die Dinge zu kaufen, die Kinder so höllisch teuer machten.
    »Was soll ich dann tun?« Meine Verzweiflung verwandelte sich in Wut, als sie meinen Körper verließ. Doch Renata zuckte nicht mit der Wimper.
    »Sprich mit Grant«, sagte sie.
    Ich stand auf und wollte gehen.
    »Warte«, meinte sie. Sie schloss die Tür des Flora auf, öffnete die Kasse, hob die Geldschublade an und holte einen dünnen roten Umschlag mit meinem Namen darauf und ein Bündel Zwanzigdollarscheine heraus. Dann kehrte sie zurück und hielt mir das Geld hin.
    »Dein letztes Gehalt«, verkündete sie. Ich zählte das Geld nicht, das sie mir gab, wusste aber, dass es viel mehr war, als ich erarbeitet hatte. Ich steckte es in meinen Rucksack. Renata reichte mir den Umschlag und das eingewickelte Burrito. »Eiweiß«, meinte sie. »Meine Mutter sagt immer, das sei gut für das Gehirn des Babys. Oder waren es die Knochen? Ich weiß es nicht mehr.«
    Ich bedankte mich, drehte mich um und machte mich auf den Weg den Hügel hinunter.
    »Wenn du etwas brauchst, du weißt, wo du mich findest«, rief sie mir nach.
    Den restlichen Tag verbrachte ich damit, in meinem blauen Zimmer gegen Wellen der Übelkeit anzukämpfen, während das Baby sich in mir bewegte. Der rote Umschlag lag auf dem weißen Fellteppich wie ein Blutfleck. Ich saß im Schneidersitz davor und konnte mich nicht entscheiden, ob ich ihn öffnen oder unter den Teppich schieben und vergessen sollte.
    Zu guter Letzt kam ich zu dem Schluss, dass ich es wissen musste. Es würde nicht leicht sein, Grants Worte zu lesen. Aber noch schwerer würde es mir fallen, die Schwangerschaft durchzustehen, ohne zu wissen, ob er den Grund für mein überstürztes Verschwinden erahnt hatte.
    Doch als ich den Umschlag öffnete, enthielt er nicht, was ich erwartet hatte. Es war eine Hochzeitseinladung: Bethany und Ray, am ersten Wochenende im November, Ocean Beach. Die Hochzeit fand in knapp zwei Wochen statt. Bethany hatte auf die Rückseite

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