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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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zurück nach Potrero Hill.
    Ich hatte den Boden im Erdgeschoss mit einer dicken Plastikfolie abgedeckt. Die Vasen, die ich im Sonderangebot in einem Fabrikresteladen gekauft hatte, waren, bereits mit Wasser gefüllt, mitten im Raum aufgereiht. Daneben lagen eine Schleifenrolle und Nadeln. Das Mädchen sah zu, als ich ihm zeigte, wie man Dornen von Rosen entfernte, Blätter beschnitt und Stengel schräg zurechtstutzte. Sie bereitete die Blumen vor, ich begann mit den Sträußen. Wir arbeiteten, bis ich Krämpfe in den Beinen bekam und mein Körper mich schwer zu Boden drückte. Ich ging nach oben, um mich auszustrecken und die Akazienblüten zu holen, die ich gepflückt hatte. Sie standen auf dem mittleren Regalbrett im Kühlschrank neben einer Schachtel Zimtrollen und einem Vierliterkarton Milch. Ich brachte alles nach unten und hielt dem Mädchen die Kuchenschachtel hin.
    »Danke«, sagte sie und nahm zwei. »Übrigens heiße ich Marlena, falls du es vergessen haben solltest.«
    Es gab kaum etwas an Marlena, das man nicht vergaß. Alles an ihr war unscheinbar, und selbst ihre Unscheinbarkeit verbarg sie hinter langem Haar und unförmiger Kleidung. Sie schüttelte den Kopf und pustete kräftig über die Oberlippe, bis ihre Ponyfransen sich teilten und zu beiden Seiten ihrer braunen Augen liegen blieben. Ihr Gesicht, das ich endlich sah, war rund, und sie hatte eine makellos glatte Haut. Ihr gewaltiges Fleece-Sweatshirt reichte fast bis zu den Knien und ließ sie wie ein Kind aussehen, das sich verlaufen hatte. Nachdem sie aufgegessen hatte, fielen ihr die Fransen wieder ins Gesicht. Sie schob sie nicht mehr beiseite.
    »Ich bin Victoria«, erwiderte ich und reichte ihr eine lange Iris aus der Vase auf dem Tisch. Sie las die Karte.
    »Du bist ein Glückspilz«, meinte sie. »Eine Geschäftsfrau, die ein Kind erwartet. Ich glaube, nur wenige von uns werden es so weit bringen wie du.«
    Ich erzählte ihr nicht von meinen Monaten im McKinley Square und der Todesangst, die mich jedes Mal ergriff, wenn mir einfiel, dass die brodelnde Masse, die da in mir heranwuchs, eines Tages ein Kind sein würde: ein schreiendes, hungriges Lebewesen.
    »Manche werden es schaffen, manche nicht«, entgegnete ich. »So wie überall.«
    Ich verspeiste das letzte Stück Zimtrolle und machte mich wieder an die Arbeit. Stunden vergingen. Hin und wieder stellte Marlena mir eine Frage oder ließ eine bewundernde Bemerkung fallen. Aber ich antwortete nicht mehr. Ich war erfüllt von Erinnerungen an Renata und meinen ersten Morgen auf dem Blumenmarkt, als sie mir beigebracht hatte, wie man Blumen einkauft. Ich dachte daran, wie ich später an ihrem Tisch saß und sie mit einem Nicken der Zustimmung jedes von mir zusammengestellte Bouquet bedachte.
    Als wir fertig waren, half Marlena mir, die Blumen ins Auto zu laden. Ich nahm das Geld heraus.
    »Wie viel brauchst du?«, fragte ich.
    Marlena war darauf vorbereitet. »Sechzig Dollar«, meinte sie. »Um am Ersten die Miete zu bezahlen. Dann kann ich noch einen Monat länger bleiben.«
    Ich zählte drei Zwanziger ab und gab ihr noch einen vierten. »Hier hast du achtzig«, meinte ich. »Ruf mich jeden Montag unter dieser Nummer an. Dann sage ich dir, ob ich wieder Arbeit für dich habe.«
    »Danke«, erwiderte sie. Ich hätte sie nach Hause bringen können – die Hochzeit fand nur ein paar Straßen vom Gathering House entfernt statt –, doch ich hatte keine Lust mehr auf Gesellschaft. Also wartete ich, bis Marlena um die Ecke verschwunden war, bevor ich ins Auto stieg und zum Strand fuhr.
     
    Die Hochzeit war ein Traum. Die Rosen knickten nicht ab; das Geißblatt schlang sich ineinander, ohne zu verheddern. Anschließend stellte ich mich an den Eingang zum Parkplatz und reichte jedem Gast eine Iris. Dem Empfang blieb ich fern.
    Ich hatte Natalya nichts von meinem Unternehmen erzählt. Deshalb war ich fast immer zu Hause und ging stets ans Telefon. »Botschaft«, sagte ich in den Hörer, mein Tonfall eine Mischung aus Frage und Aussage. Natalyas Freunde hinterließen ihr eine Nachricht, woraufhin ich ihr einen Zettel an die Schlafzimmertür klebte. Kunden stellten sich vor und beschrieben den Anlass. Ich ermittelte durch einige Fragen ihre Bedürfnisse oder lud sie zu einer Beratung ins Erdgeschoss ein. Bethanys Freunde waren wohlhabend, so dass sich niemand dafür interessierte, was die Blumen kosteten. Weil ich das Geld brauchte, verlangte ich anfangs mehr und senkte die Preise, als die

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