Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
folgenden Jahren sollte ich die Erfahrung machen, dass mein Blumenwörterbuch vielen Männern peinlich war, so dass ihre angespannten Gesichter im Neonlicht eine kränkliche Färbung annahmen. Doch Ray gehörte nicht dazu. Sein kräftiger Körperbau war irreführend, denn er sprach ebenso ausführlich, begeistert und unschlüssig über Gefühle wie Annemaries Freundinnen. Schon bei der ersten Karte, Akazie, blieben die beiden hängen, genau wie ich und Grant, allerdings aus völlig anderen Gründen.
»Heimliche Liebe«, meinte er. »Das gefällt mir.«
»Heimlich?«, fragte Bethany verwundert. »Warum heimlich?« Sie sagte das mit gespielter Empörung, als hätte er vorgeschlagen, dass sie ihre Liebe vor der Welt geheim halten sollten.
»Weil unsere Beziehung ein Geheimnis
ist
. Wenn meine Freunde über ihre Freundinnen und Ehefrauen sprechen, sich beklagen oder prahlen, schweige ich. Was zwischen uns ist, ist anders. Ich möchte, dass das so bleibt. Unberührt. Geheim.«
»Hmmm«, erwiderte Bethany. »Ja.« Sie drehte die Karte um und betrachtete das Foto der Akazienblüte, eine fedrige, goldene, kugelförmige Blüte an einem zarten Stengel. Im McKinley Square wuchsen einige Akazien. Ich hoffte, dass sie derzeit blühten. »Was können Sie damit machen?«, fragte sie.
»Das kommt darauf an, was Sie wollen. Die Akazie ist keine Blüte, die die Hauptblume eines Straußes sein kann. Wahrscheinlich würde ich sie am Rand anordnen, so dass sie Ihre Hände halb bedeckt.«
»Das gefällt mir«, sagte Bethany. »Was sonst noch?«
Schließlich entschieden sie sich für fuchsiarote Moosröschen mit hellrosafarbenem Flieder, cremefarbene Dahlien, Geißblatt und die goldenen Akazienblüten. Da burgunderrote Seide nicht dazu passte, würden sie die Kleider der Brautjungfern umtauschen müssen. Zu Bethanys Erleichterung stammten sie aus dem Kaufhaus und waren nicht maßgeschneidert worden. Die Blumen seien das Wichtigste, beteuerte sie, und Ray stimmte zu.
Als Bethany und Ray aufstanden, um zu gehen, erklärte ich ihnen, dass ich die Blumen um zwölf Uhr liefern und zur Hochzeit um zwei wiederkommen würde. »Ich kann Ihren Strauß in letzter Minute ändern«, fügte ich hinzu. »Falls noch etwas daran getan werden muss.«
Bethany umarmte mich wieder. »Das wäre wundervoll«, entgegnete sie. »Meine größte Angst ist, dass die Rosen plötzlich abknicken, wenn der Hochzeitsmarsch erklingt. Meine Hochzeit und mein Lebensglück wären dahin.«
»Keine Sorge«, sagte ich. »Blumen lösen sich nicht einfach in Luft auf.« Dabei blickte ich von Bethany zu Ray. Sie lächelte. Ich sprach über Ray, nicht über die Blumen, und sie hatte mich verstanden.
»Ich weiß«, erwiderte sie.
»Stört es Sie, wenn ich meine Visitenkarten mitbringe?«, erkundigte ich mich. »Ich fange gerade erst an.« Ich wies mit dem Kopf auf die weißen Wände.
»Natürlich nicht!«, antwortete sie. »Bringen Sie die Karten ruhig mit. Und auch einen Begleiter. Wir haben ganz vergessen, das zu erwähnen.« Bethany nickte in Richtung meines Bauches und zwinkerte. Das Baby strampelte. Mir wurde wieder übel.
»Das werde ich«, sagte ich. »Karten mitbringen – keinen Begleiter. Danke.«
Bethany wirkte verlegen. Ray errötete und zog sie zur Tür. »Danke«, sagte sie. »Ich kann Ihnen wirklich nicht genug danken.«
Ich stand an der Glastür und blickte ihnen nach, als sie den Hügel hinauf zu ihrem Auto gingen. Ray hatte den Arm um Bethanys Taille gelegt. Ich wusste, dass er sie tröstete und ihr versicherte, die merkwürdige, einsame junge Frau, die Blumen magische Kräfte verlieh, sei glücklich darüber, ein vaterloses Kind zu bekommen.
Ich war es nicht.
4.
I ch kaufte ein schwarzes Kleid am Union Square und vier Dutzend violette Iris aus einem Eimer in der Market Street. Das schwarze Kleid tarnte meinen Bauch, was die Zahl der aufdringlichen Hände möglicherweise reduzierte, die Iris sollten meine Visitenkarten werden. Ich schnitt lavendelfarbenes Papier zu Rechtecken und stanzte in jedes ein Loch hinein. Auf die eine Seite schrieb ich
Botschaft
in einer verschlungenen Handschrift à la Elizabeth. Auf der anderen stand
Victoria Jones, Floristin,
in meiner eigenen schlichten Druckschrift.
Nun gab es nur noch eine Hürde zu überwinden, was sich als schwieriger erwies als erwartet. Ich hatte zwar noch Renatas Großhändlerausweis, konnte die Blumen jedoch nicht selbst auf dem Blumenmarkt besorgen. Außer sonntags war Grant jeden Tag dort,
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