Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
Vom Netzwerk:
Geschäfte besser liefen.
    Während ich darauf wartete, dass das Telefon läutete und sich mein Terminkalender füllte, legte ich zwei weitere Boxen an. Mir gefiel die Vorstellung nicht, dass Fremde am Tisch saßen und meine blaue Box befingerten. Außerdem brauchte ich eine Box, die nach Blumensorten sortiert war wie die von Grant. Also ließ ich von den aufbewahrten Negativen weitere Abzüge anfertigen, klebte sie auf schlichte weiße Karten und verstaute diese in im Müll gefundenen Schuhkartons. Einen stellte ich unten auf den Tisch, den zweiten gab ich Marlena mit der Anweisung, jede Karte auswendig zu lernen. Meine blaue Box bewahrte ich wieder in meinem Zimmer auf, wo sie aufgrund der vielen Riegel in Sicherheit war.
    Man beauftragte mich mit der Blumendekoration anlässlich der Geburt eines Babys in Los Altos Hills, der Geburtstagsfeier eines Kleinkindes in einer Wohnung mit Parkettboden in der California Avenue und eines Junggesellinnenabschieds am Hafen, gegenüber von meinem Lieblingsimbiss. Hinzu kamen drei Weihnachtsfeiern und die Silvesterfeier bei Bethany und Ray. Überall erschien ich mit einem silbernen Eimer voller Iris, jede mit einer Karte versehen. Als es Januar wurde, hatte Marlena genug verdient, um die Kaution für eine eigene Wohnung zu hinterlegen. Ich hatte im Sommer sechzehn Hochzeiten in der Planung.
    Für den ganzen März nahm ich keine Aufträge an, und die Februartermine machten mir zu schaffen. In den Ecken meines blauen Zimmers standen vier Vierliterbehälter aus Plastik, die Dost enthielten. Ohne Licht würde die Pflanze niemals blühen. Also sorgte ich für Dunkelheit und versuchte, das Unvermeidliche hinauszuschieben.
    Doch das Baby in mir wuchs trotz meiner Todesangst. Mein Bauch war derart gewaltig, dass ich Ende Januar den Sitz meines kleinen Autos so weit wie möglich nach hinten schieben musste. Selbst dann trennen nur zwei Zentimeter meinen Bauch vom Lenkrad. Wenn das Baby einen Ellbogen oder Fuß ausstreckte, sah es aus, als wolle es das Auto steuern. Ich trug Männerkleidung, T-Shirts und Sweatshirts, die zu groß und zu lang waren, und Hosen mit elastischem Bund, tief über den Bauch gezogen. Hin und wieder ging ich als übergewichtig durch, aber meistens wurde ich zum Opfer neugieriger Hände.
    Im letzten Schwangerschaftsmonat traf ich mich so selten wie möglich mit Kunden, lieferte die Blumen lange vor dem Eintreffen der Gäste und ließ den Eimer mit Iris zurück. Mein immer schlampigeres Äußeres wirkte zwischen all den eleganten Frauen störend, und ich sah, dass es sie verlegen machte, obwohl sie versuchten, sich nichts anmerken zu lassen.
    Mutter Rubina erschien immer häufiger und brachte für ihre Besuche fadenscheinige Ausreden vor. Beim ersten Mal meinte sie, Natalya sei zu dünn, weshalb sie einen Tofuauflauf gebacken habe. Weder Natalya, die ganz und gar nicht zu dünn war, noch ich aßen den Auflauf. Tofu gehörte zu den wenigen Lebensmitteln, die ich verabscheute. Nachdem Natalya zu ihrer ersten einen Monat langen Tournee aufgebrochen war – inzwischen hatte sich der Kreis ihrer Anhänger vergrößert –, warf ich den Auflauf samt der schweren Glasform weg. Seit ich allein in der Wohnung war, gewöhnte ich mir an, aus dem Fenster zu schauen, bevor ich das Haus verließ. Wenn Mutter Rubina unten auf dem Gehweg campierte, kehrte ich in mein blaues Zimmer zurück und schloss alle sechs Schlösser ab.
    Ich wusste, dass Renata ihrer Mutter von meiner Schwangerschaft erzählt hatte, denn Natalya war sicher nicht der Grund für ihre ständigen Besuche. Obwohl Renata mich gefeuert hatte, lag ihr mein Wohlbefinden am Herzen, und zwar aus unerklärlichen Gründen schon seit unserer ersten Begegnung. Wenn ich frühmorgens im Erdgeschoss Blumen arrangierte, sah ich sie, den Wagen schwer bepackt, zu ihrem Laden fahren. Unsere Blicke trafen sich, und sie winkte. Manchmal winkte ich zurück, doch sie hielt nie an, und ich stand nie auf.
    In Vorbereitung auf das Baby hatte ich die Mindestausrüstung für ein Neugeborenes zusammengetragen: Decken, ein Fläschchen, Babynahrung, Strampelanzüge und eine Mütze. Mehr fiel mir nicht ein. Gefühllos und wie gelähmt kaufte ich diese Dinge, ohne bange Erwartung oder Angst zu empfinden. Ich fürchtete mich nicht vor der Geburt. Frauen brachten schon seit Menschengedenken Kinder zur Welt. Mütter starben, Babys starben, Mütter überlebten, und Babys überlebten. Mütter zogen ihre Babys groß oder ließen sie im Stich.

Weitere Kostenlose Bücher